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Der Pakt der Wächter: Roman

Der Pakt der Wächter: Roman

Titel: Der Pakt der Wächter: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Egeland
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NORWEGEN 1070 N. CHR.
     
    Der alte Wikinger hustete und blickte aus der Fensterscharte der kühlen Zelle des Klosters, das an der Felswand klebte. Eine gewaltige Nebelbank trieb vom Meer heran, aber er war fast blind und sah sie nicht. Zwischen den Felsen und Tangbüscheln am Ufer kämpften Möwen schreiend um einen Seehundkadaver. Der Alte räusperte sich und krümmte seine gichtkranken Finger um die Feder:
     
    Odin, gib mir Kraft.
    Meine Hände zittern, und die Finger sehen aus wie die Klauen eines Adlers. Meine Nägel sind brüchig und spitz, mein Atem rasselt heiser. Mein Blick, der dereinst einen Mäusebussard hoch oben unter den Wolken zu sehen vermochte oder die Flagge am Großmast eines Schiffes hinter dem Horizont, ist jetzt gefangen in ewigem Nebel. Nur wenn ich mein Gesicht dicht über das Pergament beuge, erkenne ich die dünnen Striche der Tinte. Ich höre die Spitze der Feder über die Haut kratzen und rieche die Gerbsäure. So ist es, wenn man den langsamen Tod des Alterns stirbt.
    Brage, hilf mir, meine Gedanken auf dieses weiß gewetzte Pergament zu richten. Mehr als vierzig Jahre sind vergangen, seit mein Herr und König, der Mann, den sie Óláfr hinn helgi nennen, Olav den Heiligen, in der Schlacht bei Stiklestad erstochen wurde. Ich war sein Waffenbruder und Freund. Noch immer sehe ich ihn vor mir, furchtlos und fest im Glauben, auch noch als Kalv ihm mit seinem Schwert den Gnadenstoß versetzte. Mein König hat seinen Gott gefunden.
    Um meinem Herrn zu gefallen, habe ich mich im Namen von Jesus Christus taufen lassen. Aber in all diesen Jahren habe ich im Stillen die Götter meiner Väter angebetet. Ich habe es nie gewagt, Olav diesen Verrat zu beichten. Im Geheimen verehrte ich Odin und Thor, Balder und Brage, Frey und Freya. Meine eigenen Götter haben mir in meinem Leben beigestanden. Was hat Christus für meinen König getan? Wo war Olavs Gott, als mein König im Namen des Herrn in Stiklestad in die Schlacht zog? Meine Götter haben mir das Leben gerettet. Sie ließen mich am Leben, obgleich mein jämmerlicher Körper längst zerfällt. Meine Eingeweide verfaulen, und das Fleisch löst sich von den Knochen und Gelenken. Die Türen Walhallas haben sich für mich nie geöffnet. Und diese Frage quält mich: Warum ließen sie mich nicht im Kampf sterben? Als Olav und ich noch junge Burschen waren und bei den Raubzügen der Wikinger miteiferten, blickte ich dem Tod in fernen Ländern ins Antlitz. Doch die Walküren haben mich nicht geholt. Ich spüre noch den Durst nach Blut und die Wildheit, die mich immer dann durchzuckte, wenn wir uns einer fremden Küste näherten. Ich stellte mir all die Schätze vor, die auf uns warteten, die Angst in den Augen der Feinde und die bleichen Brüste und Schenkel der Frauen, die wir schändeten. Wir kämpften tapfer, wie es uns unsere Väter und deren Väter gelehrt haben. Wie viele Menschen haben wir getötet? Mehr als man mit den Fingern von tausend Männern zählen kann. Vor meinem inneren Auge sehe ich noch immer die Gesichter der Menschen, die ich im Dienste König Olavs abgeschlachtet habe. Wir nahmen Männer und Frauen gefangen und verkauften sie als Sklaven und Leibeigene. Wir steckten Häuser in Brand. Wir verwüsteten Dörfer. Wie es Brauch war.
    In seinen letzten Jahren litt Olav unter Reue. Er flehte seinen Gott um Vergebung an. Sein Gott respektierte den ehrenvollen Kampf nicht. Wenn seine Anhänger ihre Hände falteten und ihn anflehten, vergab er ihnen die Sünden, die sie marterten. Aber nur, wenn sie ihn anbeteten. Heuchelei. Ich habe diesen doppelzüngigen Gott und seinen göttlichen Sohn nie verstanden. Deshalb opfere ich noch immer Odin und Tor. Und Brage, dem Gott der Dichtkunst und der Skalden. Sie nennen mich Bård Skalde. Keiner meiner Verse ist niedergeschrieben, sie leben auf den Lippen anderer Männer weiter.
    In dem steinernen Kloster, in dem sie mich aufgenommen haben und in dem ich jetzt gut und gerne zwanzig Jahre lebe, behandeln sie mich wie einen Heiligen, weil ich König Olav und dem Ägypter Asim nahestand. Jetzt ruhen beide in Asims verborgener Grabkammer, zusammen mit den Schätzen und den Schriftrollen, die nur Asim zu lesen vermochte.
    Fünfundzwanzig Jahre lang stand ich treu an der Seite meines Königs, von unserer Jugend bis zu jenem Tag unter der sengenden Julisonne in Stiklestad oben im Trøndelag. Jetzt bin ich alt. Aber bevor ich sterbe, will ich noch etwas niederschreiben. Auf dem besten Pergament des Klosters

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