Der Pakt - Rügen Thriller
Dann sprang er in sein Auto und raste zur Lottozentrale nach Suhl.
Dort gab es nach eingehender Prüfung des Tippscheines Glückwünsche und Blumen, aber keinen Sekt. Offenbar sollte er einen kühlen Kopf bewahren. Ein Angestellter, der in seinem grauen Anzug wie ein Finanzbeamter wirkte, ging mit Rücker die Über weisungsmodalitäten durch. Als Zugabe erteilte er ihm jede Menge Hinweise. Es ging um ein neues Konto, möglichst bei einer auswärtigen Bank, um Steuern, seinen Job bei der Agrargenossenschaft, richtige und falsche Freunde. Am Ende hatte Rücker nur noch ein Anliegen. Er betonte, seine Anonymität unbedingt wah ren zu wollen. Die Lottogesellschaft erklärte sich auf sein Drängen bereit, in ihre Pressemitteilung ein paar irreführende Hinweise aufzunehmen. Dort war am Ende von einem verheirateten Mann die Rede. Zusammen mit seiner Ehefrau, so hieß es, habe er die Gewinnzahlen während einer gemeinsamen Fahrt aus den Nummernschildern entgegenkommender Autos zusammengestellt.
Die Spekulationen in Goldbach wurden dadurch erst so richtig angeheizt. Namen schwirrten durch die Luft, hier und da gab es sogar böses Blut, als einer der angeblichen Nichtgewinner neue Möbel geliefert bekam oder plötzlich einen größeren Wagen fuhr. Nichts jedoch deutete auf den geschiedenen Rücker hin, der jeden Morgen pünktlich um fünf Uhr zur Arbeit erschien. Niemandem fiel es auf, dass er nicht mehr so oft in den Anker kam.
Tino Rücker hatte einiges zu tun. Zum Beispiel fuhr er nach Frankfurt, um Konten bei drei verschiedenen Banken zu eröffnen. Jedes der Kreditinstitute unterbreitete ihm Vorschläge, wie er seine Millionen anlegen konnte. Rücker hörte sich alles an, um dann höflich, aber bestimmt abzulehnen. In Erfurt besuchte er mehrere Autohäuser und inspizierte diverse Geländewagen. Von einem Rechtsanwalt ließ er sich beraten, wie er Maria anonym Geld zukommen lassen konnte. Immerhin war sie seine Tochter.
Er wollte, dass es ihr gut ging. Nächstes Jahr würde sie ihren achtzehnten Geburtstag feiern. Sie sollte finanziell unabhängig sein. Rücker überlegte, ob er ihr monatlich ein paar Tausend Euro überweisen sollte oder lieber eine einmalige größere Summe. Aber sie durfte nicht erfahren, dass das Geld von ihm kam. Wenn er plötzlich mit Euros um sich warf, würde ihre Mutter vielleicht Fragen stellen, die er nicht beantworten wollte.
Bei verschiedenen Immobilienmaklern in Weimar und in Erfurt erkundigte er sich nach weitläufigen Baugrundstücken, die zum Verkauf standen. In Goldbach konnte er nicht bleiben. Denn dann würden die anderen früher oder später merken, dass er der glückliche Gewinner war. Künftig würde er nämlich nicht mehr um vier Uhr fünfzehn aufstehen, Tag für Tag. Er wollte auch keinen sechzehn Jahre alten Ford mehr fahren und in einer Zweiraumwohnung zur Miete leben.
Nachts lag er immer öfter wach in seinem Bett und grübelte. Kaum war man reich, taten sich Probleme über Probleme auf.
Als er wieder einmal nicht schlafen konnte, kam ihm die Idee, sich ein paar Tage Urlaub an der Ostsee zu gönnen. Bisher hatte ihm sein Millionengewinn nur jede Menge Arbeit eingebracht. War es nicht an der Zeit, einmal innezuhalten und durchzuatmen? Der Glücksgöttin zu danken und ein wenig zu feiern? Die Insel Rügen schien ihm perfekt geeignet. Dort kannte ihn nie mand. Und er liebte das Meer. Als Kind war er oft mit seinen Eltern nach Binz gefahren, im Winter, wenn die Luft klar und die Strände leer waren.
Der Gedanke, dorthin zurückzukehren, gefiel ihm. Beinahe sehnsüchtig dachte Rücker an den Klang der Wellen und den salzigen Geschmack der Luft. Prickelnde Vorfreude ergriff ihn. Das Hotel buchte er bei einem Reisebüro in Suhl. Der Angestellten hatte er augenzwinkernd gesagt, dass es ruhig etwas teurer sein dürfe. Er wolle seine Frau zur silbernen Hochzeit mit etwas Besonderem überraschen.
Einen Monat später hatte sich die Lage in Goldbach wieder entspannt. Der millionenschwere Gewinner war zwar noch immer nicht ermittelt worden. Aber längst gab es neue Themen, neuen Klatsch, neue Probleme. Niemand schöpfte Verdacht, als Rücker um Urlaub bat.
»Klar, spannen Sie mal aus«, hatte sein Chef gesagt und ihm jovial auf die Schulter geklopft. »Ist ja momentan sowieso sehr ruhig hier.«
Am Vormittag hatte Rücker Goldbach verlassen, nachdem er bei den Schuchs noch schnell einen Lottoschein ausgefüllt hatte. »Obwohl wir ja so schnell nicht mehr dran sein werden mit
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