Der Pakt
letzten Monat, als Otto Skorzeny und ein Trupp von 108 SS-Leuten mit dem Fallschirm auf einem Abruzzengipfel gelandet waren und Mussolini aus den Fängen der verräterischen Badoglio-Fraktion befreit hatten, die Italien den Alliierten übergeben wollte.
Mussolini zu befreien, war eine Sache, hinterher zu entscheiden, was mit ihm passieren sollte, eine ganz andere. Dieses Problem zu lösen, war ihm zugefallen. Den Duce in der Republik von Salò am Gardasee unterzubringen, war eines der sinnloseren diplomatischen Unterfangen seiner Karriere gewesen. Wenn man ihn gefragt hätte, hätte er Mussolini dem alliierten Kriegsgericht überlassen.
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Diese Cicero-Unterlagen aber waren etwas völlig anderes. Sie waren für ihn die Chance, seine Karriere wieder voranzu-bringen, zu beweisen, dass er tatsächlich »ein zweiter Bismarck« war, wie Hitler einst nach den erfolgreichen Verhandlungen über den Nichtangriffspakt mit der Sowjetunion gesagt hatte. Der Krieg war der Feind der Diplomatie, aber jetzt, da klar war, dass Deutschland den Krieg nicht mehr gewinnen konnte, war die Zeit der Diplomatie – seiner Diplomatie –
wieder angebrochen, und Ribbentrop hatte nicht vor, den SD mit seinen idiotischen Heldenstückchen Deutschlands Chancen auf einen Verhandlungsfrieden zunichte machen zu lassen.
Er würde mit Himmler reden. Nur Himmler war weitblickend und visionär genug, um zu begreifen, welch ungeheure Möglichkeiten dieses zum goldrichtigen Zeitpunkt gelieferte Cicero-Material eröffnete.
Ribbentrop schloss seine Aktenmappe und eilte nach draußen.
Unter der hohen Laterne neben dem Hauptportal fand Ribbentrop die beiden Referenten, die ihn auf der Zugfahrt begleiten sollten: Rudolf Linkus und Paul Schmidt. Linkus nahm ihm die Aktenmappe ab und legte sie in den Kofferraum des riesigen, schwarzen Mercedes, der darauf wartete, sie alle drei zum Anhalter Bahnhof zu bringen. Ribbentrop schnupperte in die feuchtkalte Nachtluft, die vom Korditgeruch der Flak-Batterien am Pariser und am Leipziger Platz erfüllt war, und stieg dann in den Fond des Wagens.
Sie fuhren die Wilhelmstraße hinunter, vorbei am Gestapo-Hauptquartier, dann auf die Königgrätzer Straße und schließlich rechter Hand in den Bahnhof, wo es von Rentnern, Frauen und Kindern wimmelte, die, wie es ihnen der Goebbels-Erlass erlaubte, den Bombenangriffen der Alliierten zu entfliehen suchten.
Der Mercedes hielt an einem Bahnsteig, ein ganzes Stück abseits dieser weniger distinguierten Reisenden, neben einem 28
windschnittig geformten, dunkelgrünen Zug, der bereits unter Dampf stand. Auf dem Bahnsteig waren in Fünf-Meter-Abständen SS-Leute postiert, um die zwölf Waggons und die beiden mit 200-Millimeter-Vierfachflak bestückten Geschütz-wagen zu bewachen. Dies war der Sonderzug Heinrich des Reichsführers-SS Heinrich Himmler und nach dem Führerzug der wichtigste Zug Deutschlands.
Ribbentrop stieg in einen der beiden Waggons, die für den Reichsaußenminister und dessen Stab reserviert waren. Schon jetzt ergaben das Schreibmaschinengeklapper und das Klirren des Geschirrs aus dem Speisewagen zwischen Ribbentrops Salonwagen und dem des Reichsführers-SS eine Geräuschkulisse, die es mit der eines jeden Ministeriumsbüros aufnehmen konnte. Um Punkt zwanzig Uhr fuhr der Heinrich ab, nach Osten, dorthin, wo einst Polen gewesen war.
Um halb neun ging Ribbentrop in sein Schlafabteil, um sich fürs Abendessen umzuziehen. Seine SS-Uniform lag bereits auf dem Bett parat: schwarzer Waffenrock, Mütze, Koppel, schwarze Reithosen und blitzblanke schwarze Reitstiefel.
Ribbentrop, der seit 1936 im Rang eines SS-Standartenführers ehrenhalber stand, trug gern Uniform, und sein Freund Himmler schien es zu schätzen, wenn er es tat. Zu diesem speziellen Anlass jedoch war die Uniform ein Muss, und als der Minister aus seinem Schlafabteil trat, hatten alle anwesenden Herren aus dem Außenministerium ebenfalls ihre rabenschwarzen Uniformen angelegt. Ribbentrop lächelte, weil es ihm gefiel, dass seine Männer so schneidig aussahen und eine Effizienz an den Tag legten, wie sie nur die Nähe des Reichsführers-SS
hervorzurufen vermochte. Instinktiv salutierte er. Seine Leute salutierten zurück. Paul Schmidt, der SS-Obersturmbannführer war, legte seinem Chef ein mit dem Briefkopf des Ministeriums versehenes Blatt Papier vor, auf dem in Schreibmaschinenschrift sämtliche Punkte aufgelistet waren, die Ribbentrop beim gemeinsamen Abendessen mit Himmler besprechen
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