Der Pakt
Zwar konnte er es, genau wie der Führer, nicht leiden, wenn Leute in seiner Umgebung Zigaretten rauchten, aber er gönnte sich selbst ab und zu eine gute Zigarre. Er war auch kein Abstinenzler, sondern trank abends gern ein, zwei Gläser Rotwein. In Himmlers Waggon sah Ribbentrop eine bereits geöffnete Flasche Herrenberg-Honigsäckel auf dem Schreibtisch und eine brennende Kuba-Zigarre in einem Kristallaschenbecher. Dieser stand auf einem Brockhaus-Atlas und einem wildledergebundenen Exemplar der Bhagavad Gita, einem Buch, von dem sich Himmler, wenn überhaupt, nur selten trennte.
Als Himmler Ribbentrop erblickte, legte er den Füller mit der berüchtigten grünen Tinte weg und sprang auf.
»Ribbentrop, mein Lieber«, sagte er mit seiner ruhigen Stimme und dem leichten bayerischen Einschlag, der Ribbentrop manchmal an Hitlers österreichischen Akzent erinnerte. Es gab sogar Leute, die behaupteten, Himmler ahme absichtlich Hitlers Sprechweise nach, um sich beim Führer lieb Kind zu machen. »Schön, dass Sie da sind. Ich sitze gerade an meiner Rede für morgen.«
Das war der Zweck ihrer Polenreise: Beim morgigen Besuch in Posen, der alten polnischen Hauptstadt, wo sich jetzt eine von Generalmajor Gehlen geleitete Agentenschule der Wehrmacht 32
befand, würde Himmler vor den versammelten Gruppenführern der SS sprechen. Achtundvierzig Stunden später würde er dieselbe Rede noch einmal vor sämtlichen Reichs- und Gauleitern Europas halten.
»Und? Zufrieden?«
Himmler zeigte dem Außenminister den
maschinegeschriebenen Text, an dem er den ganzen Nachmittag gearbeitet hatte und der jetzt mit Korrekturen in seiner spinnenbeinfeinen grünen Handschrift übersät war.
»Ein bisschen lang vielleicht«, gab Himmler zu, »mit dreieinhalb Stunden.«
Ribbentrop stöhnte innerlich. Wenn jemand anders diese Rede hielte, Goebbels oder Göring oder selbst Hitler, würde er es ja wagen, solange ein Nickerchen zu machen, aber Himmler gehörte zu den Leuten, die einem hinterher Fragen zu ihren Reden stellten und insbesondere wissen wollten, was man für die stärksten Passagen gehalten habe.
»Aber das lässt sich nun mal nicht ändern«, sagte Himmler leichthin. »Es gilt ja ein weites Feld abzudecken.«
»Das glaube ich wohl. Ich freue mich natürlich darauf, schon seit Ihrer Ernennung.«
Vor zwei Monaten erst hatte Himmler von Frank das Innenministerium übernommen, und die Posener Rede sollte demonstrieren, dass das mehr als nur eine kosmetische Veränderung war: Während der Führer bislang auf die Unterstützung des deutschen Volkes gebaut hatte, wollte Himmler klar machen, dass er sich ausschließlich auf die SS
verließ.
»Danke, mein Lieber. Ein Glas Wein?«
»Ja, gern.«
Beim Einschenken fragte Himmler: »Wie geht’s Annelies?
Und Ihrem Sohn?«
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»Gut, danke. Und Häschen?«
Häschen war Himmlers Kosename für seine ehemalige Sekretärin Hedwig, mit der er in morganatischer Ehe lebte. Der Reichsführer-SS war immer noch nicht von seiner Frau Marga geschieden. Häschen war zwölf Jahre jünger als der jetzt dreiundvierzigjährige Himmler und stolze Mutter seines zweijährigen Sohnes Helge – bei allem guten Willen konnte Ribbentrop sich einfach nicht daran gewöhnen, Kleinkinder bei diesen neuen arischen Namen zu nennen.
»Der geht es auch gut.«
»Kommt sie nach Posen? Sie haben doch dieses Wochenende Geburtstag?«
»Ja, das stimmt. Aber nein, wir treffen uns in Hochwald. Der Führer hat uns in die Wolfsschanze eingeladen.«
Die Wolfsschanze war das Führerhauptquartier in Ostpreußen, Hochwald das Haus, das sich Himmler fünfundzwanzig Kilometer östlich des mitten im Wald gelegenen Bunkerkomplexes gebaut hatte.
»Wir sehen Sie dort kaum noch, Ribbentrop.«
»Für einen Diplomaten gibt es in einem Militärhauptquartier nicht viel zu tun, Himmler. Also bleibe ich lieber in Berlin, wo ich dem Führer nützlicher sein kann.«
»Sie haben völlig Recht, diesen Ort zu meiden, mein Lieber.
Es ist schrecklich dort. Im Sommer drückend heiß und im Winter eiskalt. Gott sei Dank muss ich nicht dort wohnen. Mein Haus liegt in einer wesentlich gesünderen Gegend. Manchmal glaube ich, der Führer hält es dort nur aus, damit er das Gefühl haben kann, die Entbehrungen des deutschen Landsers zu teilen.«
»Das ist ein Grund. Und der zweite ist natürlich, dass er, solange er dort ist, nicht sehen muss, was die Bomben in Berlin anrichten.«
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»Mag sein. Heute Nacht ist jedenfalls München
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