Der Report der Magd
Kapitel eins
Wir schliefen in dem Raum, der einst die Turnhalle gewesen war. Der Fußboden war aus Holz, versiegelt, mit aufgemalten Linien und Kreisen für die Spiele, die früher dort gespielt wurden; die Ringe für die Basketballnetze waren noch an ihrem Platz, doch die Netze fehlten. Eine Empore verlief rings um den Raum, für die Zuschauer, und ich meinte, ich könnte, schwach wie ein Nachbild, den säuerlichen Schweißgeruch riechen, durchsetzt vom süßlichen Kaugummi- und Parfümduft der zuschauenden Mädchen – Mädchen in Filzröcken, wie ich von Bildern wußte, später in Miniröcken, dann Shorts, dann mit einem einzigen Ohrring, mit stachligem, grün gesträhntem Haar. Vermutlich hatten hier Tanzfeste stattgefunden; die Musik klang noch nach, ein Schicht um Schicht beschriebenes Palimpsest nicht gehörter Töne, Stil auf Stil, ein untergründiger Trommelwirbel, ein einsamer Klagelaut, Blumengirlanden aus Seidenpapier, Pappteufel, eine mit Spiegeln besetzte, sich drehende Kugel, die einen Schnee von Licht über die Tanzenden stäubte.
Es roch nach früherem Sex und nach Einsamkeit in dem Raum und nach Erwartung, Warten auf etwas, das weder Form noch Namen hatte. Ich erinnere mich an dieses Sehnen nach etwas, das immer drauf und dran war, sich zu ereignen, und doch niemals das gleiche war wie die Hände, die dort und damals auf uns lagen, auf dem Rücken, im Kreuz, oder draußen, auf dem Parkplatz oder im Fernsehraum, wo der Ton leise gestellt war und nur die Bilder über die sich aufbäumenden Körper flimmerten.
Wir sehnten uns nach der Zukunft. Woher hatten wir das, dieses Talent zur Unersättlichkeit? Es lag in der Luft; und es lag jetzt noch immer in der Luft, ein Nachhall, wenn wir zu schlafen versuchten, in Feldbetten, die in Reihen aufgestellt waren, mit genügend Abstand, damit wir nicht miteinander sprechen konnten. Wir hatten Flanellbettücher wie kleine Kinder, und Armeedecken, alte, auf denen noch U.S. stand. Wir falteten unsere Kleider ordentlich zusammen und legten sie auf die Hocker an den Bettenden. Die Lichter waren schwächer gestellt, wurden aber nicht gelöscht. Tante Sara und Tante Elizabeth machten die Runde; sie hatten elektrische Stachelstöcke wie zum Viehtreiben, die an ihren Ledergürteln hingen.
Jedoch keine Schußwaffen. Selbst ihnen wurden keine Waffen anvertraut. Pistolen waren den Wachen vorbehalten, die aus der Heerschar der Engel sorgfältig ausgesucht wurden. Die Wachen durften das Gebäude nicht betreten, außer wenn sie gerufen wurden, und wir durften es nicht verlassen, außer zu unseren Spaziergängen zweimal täglich, bei denen wir zu zweit um das Football-Feld gingen, das jetzt von einem mit Stacheldraht gekrönten Kettengliedzaun umgeben war. Die Engel standen draußen, mit dem Rücken zu uns. Sie waren für uns Gegenstand der Furcht, aber ebenso auch Gegenstand von etwas anderem. Wenn sie doch herüberschauen würden! Wenn wir doch mit ihnen sprechen könnten! Man könnte etwas tauschen, dachten wir, einen Handel abschließen, Geschäfte machen, immerhin hatten wir noch unsere Körper. Das war unser Tagtraum.
Wir lernten fast lautlos zu flüstern. Im Halbdunkel konnten wir die Arme ausstrecken, wenn die Tanten nicht hersahen. Wir konnten einander über den Abstand hinweg mit den Fingerspitzen berühren. Wir lernten, von den Lippen zu lesen, auf der Seite liegend, den Kopf flach auf dem Bett, einander auf den Mund blickend. So tauschten wir Namen aus, von Bett zu Bett:
Alma. Janine. Dolores. Moira. June.
II
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Kapitel zwei
Ein Stuhl, ein Tisch, eine Lampe. Darüber, an der weißen Zimmerdecke, ein Relief-Ornament: ein Kranz, und in der Mitte eine leere Fläche, zugegipst, wie die Stelle in einem Gesicht, wo ein Auge herausgenommen worden ist. Dort muß einmal ein Kronleuchter gehangen haben. Sie haben alles entfernt, woran man einen Strick befestigen könnte.
Ein Fenster, zwei weiße Gardinen. Unter dem Fenster ein Fenstersitz mit einem kleinen Kissen. Wenn das Fenster einen Spalt geöffnet ist – es läßt sich nur einen Spalt öffnen –, kann die Luft herein und die Gardinen bewegen. Ich kann auf dem Stuhl sitzen oder auf dem Fenstersitz, mit gefalteten Händen, und zuschauen. Auch Sonnenlicht strömt durch das Fenster herein und fällt auf den Fußboden, der aus Holz ist, schmale Dielenbretter, auf Hochglanz poliert. Ich rieche das Bohnerwachs. Auf dem Fußboden liegt ein Teppich, oval, aus Stoffresten geflochten. Das ist die Note, die
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