Der Pate von Florenz
Land durchstreiften und nach flüchtigen Verschwörern suchten, war es ein Leichtes gewesen, sie zu verhaften. Als Lorenzo von Sabatellis Aussage erfahren hatte, hatte er sich sofort in den Kerker begeben, um sich von der Wahrheit der Angaben zu überzeugen, und er hatte dafür gesorgt, dass der Enkelsohn seines Consigliere schon vor Sonnenaufgang unerkannt aus der Stadt gebracht worden war.
»Wäre er nicht Euer Enkelsohn, würde auch er schon längst am Strappado hängen und morgen zusammen mit dem Seidenhändler den ehrlosen Tod am Galgen finden«, sagte Lorenzo dann.
Sandro dachte an die vielen Menschen, die am blutigen Ostersonntag und in den Wochen danach hingerichtet worden waren, die meisten von ihnen für viel weniger als das, was Silvio an Schuld auf sich geladen hatte.
»Aber die langen Jahre treuer und wichtiger Dienste, die Ihr dem Haus Medici geleistet habt, verdienen es nicht, dass Euer Name durch die öffentliche Hinrichtung Schaden nimmt«, fuhr Lorenzo fort. »Auch bin ich es Eurem Sohn Marcello schuldig, dass er nicht ein Leben im Schatten eines ehrlosen Verräters führen muss. Deshalb überlasse ich Euch die Entscheidung, wie und von wessen Hand Euer Enkelsohn die ihm gebührende Strafe erhält.«
Sandro spürte, wie Übelkeit in ihm hochstieg.
»Ihr könnt die Aufgabe mir und damit Badolo überlassen oder sie selbst übernehmen. Entscheidet Euch, Consigliere!« Seine Stimme war so kalt und so unerbittlich wie sein Blick.
»Ich selbst werde es tun«, flüsterte er mit gepresster Stimme.
Lorenzo nickte, als hätte er nichts anderes erwartet. »Gut. Ich gebe Euch Zeit bis Mitternacht. Das sollte reichen. Ich denke, Ihr wisst, was Ihr zu tun habt, Consigliere.«
Sandro nickte stumm.
Ohne ein weiteres Wort verließ Lorenzo den Folterkeller.
Kaum hatte sich die schwere Bohlentür hinter dem Medici geschlossen, da konnte sich Sandro nicht mehr wehren gegen die Übelkeit und er erbrach sich wieder und wieder. Was er später an diesem Tag auch aß und trank, den bitteren Geschmack von Galle sollte er nicht mehr loswerden.
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1 Eine zeitlich begrenzte Kirchenstrafe über eine bestimmte Person oder Personengruppe (hier die Bewohner von Florenz), verbunden mit dem Verbot, die Sakramente zu empfangen (Kommunion, Beichte, letzte Ölung usw.)
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E inen klaren Gedanken zu fassen, zu einem Entschluss zu gelangen und dann alle erforderlichen Vorbereitungen zu treffen, all das hatte Sandro viele Stunden in Anspruch genommen.
Einen Großteil der verbleibenden Zeit hatte er im Kerker des Schuldgefängnisses verbracht. Mit seiner Unterschrift unter drei Bankwechsel die Tür zur Freiheit zu öffnen war nicht schwer gewesen. Auch hatte ihn die hohe Summe, die er insgesamt zahlen musste, nicht bekümmert. Aber unter den vielen dort Einsitzenden drei Unglückliche auszuwählen, denen der Tod drohte, und damit Schicksal für den einen und gegen den anderen spielen zu müssen, das war eine quälende Angelegenheit gewesen.
Es war schon früher Abend, als Sandro endlich auf Finochieta eintraf. Ein feuriges Glühen lag im Westen über den Hügeln des Contado. Es schien, als würden die Olivenbäume und Schirmpinien, deren Silhouetten sich gegen den glutroten Abendhimmel wie Scherenschnitte abhoben, jeden Augenblick in Flammen aufgehen.
Sandro führte ein zweites gesatteltes Pferd mit sich. Es war Silvios Stute Ginerva. Auf ihren Rücken hatte er einen dicken Kleiderbeutel, einen Proviantsack und einen flachen Reiterkorb gebunden, in dem, eingepackt in dicke Lagen Stroh, drei bauchige Weinflaschen steckten.
Ein breitschultriger Mann Anfang fünfzig mit schiefergrauem Vollbart, einer schwarzen Tellermütze auf dem massigen Schädel und umgegürtetem Schwertgehänge trat aus dem Bauernhaus, als Sandro den sandigen Vorhof seines bescheidenen Landgutes erreichte. Es war Enrico Valori, der schon seit mehr als zwei Jahrzehnten im Dienst der Medici stand, am Anfang als einfacher Wachmann und später als Leibwächter von Lorenzos Vater Piero und dessen Kindern.
»Consigliere«, grüßte Valori respektvoll und mit ernster Miene.
Sandros Gesicht blieb unbewegt. »Silvio ist im Haus?«
Enrico nickte. »Luciano ist bei ihm.«
Luciano war der vier Jahre jüngere Bruder von Enrico Valori. Dass Lorenzo ausgerechnet diese beide Männer mit Silvios Überstellung nach Finochieta und dessen Bewachung beauftragt hatte, war kein Zufall, wie Sandro wusste. Er selbst war es gewesen, der das Brüderpaar damals für das Haus
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