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Der Patient

Titel: Der Patient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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Psychoanalysepraxis gewöhnt, in der die Rollenverteilung sehr viel klarer war. Draußen auf der Straße konnte er unmöglich sagen, wer sich an dem Spiel beteiligte und ihn beobachtete und wer einfach nur zu den übrigen acht Millionen Menschen zählte, die unversehens seine Kreise störten.
    Ricky zuckte die Achseln und winkte ein Taxi heran. Der Fahrer hatte einen unaussprechlichen ausländischen Namen und einen seltsamen, arabisch klingenden Musiksender eingeschaltet. Eine Künstlerin sang mit hoher Stimme ein Klagelied mit melodiösen Arabesken bei jedem Tempowechsel. Beim nächsten Lied schien sich nur der Takt zu ändern, aber nicht der trillernde Gesang. Er konnte keine einzelnen Worte unterscheiden, doch der Fahrer klopfte hingebungsvoll mit den Fingern den Takt auf dem Lenkrad mit. Der Mann brummte etwas, als Ricky ihm die Adresse gab, und fädelte sich rasant in den Stadtverkehr ein. Für einen Moment überlegte Ricky, wie viele Leute wohl pro Tag in den Wagen dieses Mannes sprangen. Der Mann hinter der Plastiktrennscheibe konnte nicht wissen, ob er seine Fahrgäste zu einem denkwürdigen Ereignis in ihrem Leben chauffierte oder zu einem Anlass, bei dem nur die Minuten verstrichen. Ein-, zweimal drückte der Fahrer an einer Kreuzung auf die Hupe, ansonsten beförderteer ihn schweigsam durch die verstopften Adern der Metropole.
    Ein großer weißer Möbelwagen blockierte fast die Nebenstraße, in der die Anwaltskanzlei lag, so dass sich die Autos nur mühsam vorbeiquetschen konnten. Drei oder vier stämmige Männer kamen und gingen durch die Eingangstür des bescheidenen, unauffälligen Bürogebäudes und trugen braune Pappkartons und gelegentlich ein Möbelstück – Schreibtischstühle, Sofas und Ähnliches mehr – behutsam die Stahlrampe ihres Lkw hinauf, um sie zu verstauen. Ein Mann im blauen Blazer mit einer Sicherheitsdienstmarke stand etwas abseits und wachte über den zügigen Umzug, während er gleichzeitig die Passanten derart aufmerksam beäugte, dass kein Zweifel bestand, wozu er eigentlich dort postiert und wie entschlossen er war, seine Aufgabe auch zu erfüllen. Ricky stieg aus dem Taxi, das davonraste, sobald er die Tür zuschlug, und ging auf den Mann im Blazer zu.
    »Ich suche die Kanzlei eines gewissen Mr. Merlin. Er ist Anwalt …«
    »Sechster Stock, ganz bis nach oben«, sagte der Mann, ohne den Blick von der Parade der Möbelpacker zu wenden. »Haben Sie einen Termin? Ziemlich was los da oben, mitten im Umzug und so.«
    »Er zieht um?«
    Der Mann im Blazer machte eine Handbewegung. »Wie Sie sehen«, sagte er. »Auf dem Weg nach ganz oben, zum großen Geld, nach allem, was man hört. Sie können ruhig rauf, aber stehen Sie nicht im Weg.«
    Der Fahrstuhl summte zwar, doch dankenswerterweise spielte keine Hintergrundmusik. Eine Tür stand sperrangelweit offen, und zwei Männer kämpften mit einem Schreibtisch, den sie durch die Öffnung wanden, während eine Frau im mittlerenAlter, die in Jeans, Halbschuhen und Designer-T-Shirt daneben stand, streng über die Aktion wachte. »Das ist mein Schreibtisch, verflucht noch mal, und ich kenne jeden Fleck und jeden Kratzer da dran. Wenn auch nur ein einziger neuer drankommt, kaufen Sie mir einen neuen.«
    Die beiden Möbelpacker hielten inne und sahen sie grimmig an. Der Schreibtisch glitt millimetergenau durch den Rahmen. Ricky warf einen Blick an den Männern vorbei und sah im Flur des Büros gestapelte Kartons, leere Bücherregale sowie Tische und all die anderen Dinge, die man gewöhnlich mit einem gut gehenden Büro verbindet, für den Abtransport bereit. Aus dem Inneren des Büros kam ein dumpfes Geräusch und dann leises Fluchen. Die Frau in Jeans warf den Kopf herum und schüttelte, offensichtlich irritiert, eine wilde Mähne kastanienbraunes Haar. Sie schien ein Mensch zu sein, der Ordnung zu schätzen wusste und der unter dem vorübergehenden Umzugschaos beinahe physisch litt. »Ich möchte zu Mr. Merlin«, sagte Ricky. »Ist er zufällig da?« Die Frau drehte sich schnell um. »Sind Sie ein Mandant? Wir haben für heute keine Termine gemacht. Umzugstag.«
    »Könnte man so sagen.«
    »Also«, sagte die Frau steif, »könnte man wie genau sagen?«
    »Mein Name ist Dr. Frederick Starks, und ich denke, ich kann mit Fug und Recht behaupten, dass wir etwas zu besprechen haben. Ist er da?«
    Die Frau wirkte einen Moment erstaunt, lächelte dann wenig freundlich und nickte. »An den Namen kann ich mich allerdings erinnern. Aber ich glaube

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