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Der Patient

Titel: Der Patient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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war, als hätte er im gesamten Körper ein nervöses Zucken. Schließlich warf er sich in seinen alten Ledersessel hinter dem Kopfende der Couch und ließ sich vom vertrauten Quietschen des Polsters und dem Gefühl der polierten Textur unter seinen Händen beruhigen, wenn auch nur oberflächlich. Er hegte nicht den geringsten Zweifel daran, wer sich diese Beschwerde gegen ihn ausgedacht hatte. Die scheinheilige Anonymität des Pseudo-Opfers sorgte dafür. Viel wichtiger war allerdings die Frage, wozu. Es gab einen genauen Plan, soviel hatte er begriffen, und er musste analysieren, welchen Platz dieser Schritt im Gesamtkonzept hatte.
    Ricky hatte immer ein Telefon neben dem Sessel auf dem Boden, und er bückte sich danach. Binnen Sekunden hatte er von der Auskunft die Nummer des Präsidenten der Psychoanalytic Society. Statt sich weiterverbinden zu lassen, tippte er wütend die Nummern ein, lehnte sich zurück und wartete, dass sich jemand meldete.
    Am anderen Ende ertönte die vage vertraute Stimme seines Kollegen, allerdings in diesem blechernen, unbeteiligten Ton einer automatischen Ansage.
    »Hallo. Sie sind mit der Praxis von Dr. Martin Roth verbunden. Meine Praxis ist zwischen dem ersten und neunundzwanzigsten August nicht besetzt. In dringenden Fällen wählen Sie bitte die Nummer 555-1716, einen Dienst, der mich während der Urlaubszeit erreichen kann, oder wählen Sie 555-2436 und sprechen Sie mit Dr. Albert Michaels am Columbia Presbyterian Hospital, der mich diesen Monat vertritt. Falls es um eine echte Krise geht, rufen Sie bitte beide Nummern an, und Dr. Michaels wie auch ich werden Sie beide zurückrufen.«
    Ricky trennte die Verbindung und wählte die erste der beiden Notdienst-Nummern. Er wusste, dass es sich bei der zweiten Anlaufstelle um einen psychiatrischen Assistenzarzt im zweiten oder dritten Klinikjahr handeln musste. Üblicherweise vertraten die psychiatrischen Assistenzärzte die niedergelassenen Kollegen während der Urlaubszeit und boten eine Art Ventil, wobei allerdings Medikamente die klassische Gesprächstherapie, die eigentliche Säule der psychoanalytischen Behandlung, ersetzten.
    »Hallo«, meldete sich eine müde Stimme. »Telefondienst Dr. Roth.«
    »Ich habe eine dringende Nachricht für Dr. Roth«, sagte Ricky energisch.
    »Der Doktor ist im Urlaub. Bei einem Notfall rufen Sie bitte Dr. Albert Michaels im …«
    »Ich habe die Nummer«, unterbrach sie Ricky, »aber es geht nicht um so einen Notfall und genauso wenig um so eine Nachricht.«
    Die Frau schwieg, mehr überrascht als verwirrt. »Also, ich weiß nicht, ob ich ihn wegen sonst irgendeiner Nachricht im Urlaub anrufen darf …«
    »Er wird das, was ich ihm zu sagen habe, hören wollen«, antwortete Ricky. Es fiel ihm schwer, den unterkühlten Ton in seiner Stimme zu verbergen.
    »Ich weiß nicht«, sagte die Frau. »Es gibt klare Regeln.«
    »Jeder hat seine klaren Regeln«, sagte Ricky schroff. »Sie dienen dazu, den Kontakt zu verhindern, nicht, ihn herzustellen. Kleingeister und einfallslose Gemüter lassen sich starre Verfahrensweisen und Regeln einfallen. Leute mit Charakter wissen, wann man das Protokoll ignorieren muss. Gehören Sie zu diesen Leuten, Fräulein?«
    Die Frau schwieg zunächst. »Wie lautet die Nachricht?«, fragte sie dann abrupt.
    »Sagen Sie Dr. Roth, dass Dr. Frederick Starks … Sie schreiben das am besten mit, damit Sie es wörtlich weitergeben …«
    »Ich notiere«, sagte die Frau patzig.
    »… Sagen Sie, Dr. Starks hat seinen Brief bekommen, die darin enthaltene Beschwerde zur Kenntnis genommen und möchte ihn davon unterrichten, dass an der ganzen Sache kein Funken Wahrheit ist. Es ist von vorn bis hinten erlogen.«
    »… kein Funken Wahrheit … okay. Erlogen. Hab ich notiert. Soll ich ihn mit dieser Nachricht anrufen? Er ist im Urlaub.«
    »Wir sind alle im Urlaub«, erwiderte Ricky ebenso unverblümt. »Nur dass er bei einigen von uns interessanter ausfällt als bei anderen. Sorgen Sie dafür, dass er die Nachricht bekommt,und zwar genau so, wie ich es gesagt habe, sonst werde ich verdammt noch mal dafür sorgen, dass Sie sich am Labour Day nach einem neuen Job umsehen können. Verstanden?«
    »Ja, ich denke schon«, antwortete die junge Frau unbeeindruckt. »Aber wie gesagt, wir haben unsere klaren Vorgaben, und ich glaube nicht, dass diese Nachricht einer davon ent…«
    »Versuchen Sie mal, nicht ganz so berechenbar zu sein«, sagte Ricky. »Dann behalten Sie auch Ihren Job.«
    Damit

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