Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Patient

Titel: Der Patient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
Vom Netzwerk:
angerührthaben, gehören und das bescheidene Aktienpaket, das Sie bei demselben Börsenmakler hinterlegt haben. Aber mit dem Sommerhaus fange ich an. Zwölf Morgen. Ich denke, ich kann das parzellieren und einen Mordsreibach machen. Was meinen Sie, Doc?«
    Ricky hörte dem Anwalt zu, innerlich von dem Schock wie gelähmt.
    »Woher wissen Sie …«, fing er halbherzig an.
    »Ich habe es mir zum Beruf gemacht, Dinge zu wissen«, unterbrach ihn Merlin schroff. »Wenn Sie nicht etwas besäßen, was ich haben will, wäre mir der Fall egal. Aber das tun Sie nun mal, und glauben Sie mir, Doc, denn Ihr Anwalt wird Ihnen dasselbe sagen, es lohnt sich nicht, darum zu kämpfen.«
    »Um meine Berufsehre allemal«, erwiderte Ricky.
    Merlin zuckte wieder die Achseln. »Ich glaube, Sie sehen nicht ganz klar, Doktor. Ich versuche Ihnen gerade begreiflich zu machen, wie Sie Ihre Integrität mehr oder weniger retten können. Sie scheinen dummerweise zu glauben, das hier hätte etwas damit zu tun, wer Recht hat und wer nicht. Wer die Wahrheit sagt und wer lügt. Ich finde das faszinierend, von einem alten Hasen auf dem Gebiet der Psychoanalyse. Bekommen Sie etwa oft die Wahrheit zu hören – auf diese wundersam authentische, klar definierte Art und Weise? Oder werden Wahrheiten vertuscht, unter dem Deckel gehalten und mit allem möglichen kuriosen psychologischen Ballast überfrachtet, eher vage und schwer fassbar, kaum dass man sie aufgedeckt hat? Und niemals wirklich schwarz oder weiß? Viel eher wie Schattierungen von Grau, Braun und sogar Rot. Predigt das Ihr Berufsstand nicht immer?«
    Ricky kam sich wie ein Trottel vor. Die Worte des Anwalts schlugen wie Fausthiebe in einem ungleichen Boxkampf aufihn ein. Er holte tief Luft, kam zu dem Schluss, dass es dumm von ihm gewesen war, in diese Kanzlei zu kommen. Das Klügste, was er tun konnte, war wohl eher, so schnell wie möglich das Weite zu suchen. Er wollte sich gerade erheben, als Merlin hinzufügte: »Die Hölle kann vielerlei Gestalt annehmen, Dr. Starks. Sehen Sie in mir nur eine davon.«
    »Wie bitte?«, sagte Ricky. Doch er erinnerte sich an Virgils Worte bei ihrem Besuch, als sie ihm sagte, sie sei seine Führerin zur Hölle, daher der Name.
    Der Anwalt lächelte. »Zu König Artus’ Zeiten«, sagte er nicht unfreundlich und mit dem Selbstvertrauen eines Mannes, der seinen Gegner taxiert hatte und deutlich unterlegen fand, »war die Hölle für alle möglichen Leute eine sehr reale Vorstellung, selbst für die Gebildeten und Arrivierten. Sie haben ganz handgreiflich an Dämonen, Teufel, Besessenheit durch Geister und was nicht alles geglaubt. Sie rochen förmlich Feuer und Schwefel, die die weniger Frommen erwarteten, und sahen in Höllenfeuer und ewigen Folterqualen für eine schlechte Lebensführung keine unangemessenen Strafen. Heute liegen die Dinge ein wenig komplizierter, Doktor, nicht wahr? Wir glauben nicht wirklich, dass wir in irgendeinem Höllenschlund mit Feuerzangen traktiert und in ewiger Verdammnis schmoren werden. Was haben wir also stattdessen? Anwälte. Und glauben Sie mir eines, Doktor, ich kann Ihr Leben mühelos in etwas verwandeln, das einer dieser mittelalterlichen Radierungen von einem dieser Alptraumkünstler recht nahe kommt. Sie suchen nach dem leichten Ausweg, Doc. Dem leichten. Sie sollten sich lieber mal diese Versicherungspolice anschauen.«
    In dem Moment flog die Tür zum Konferenzzimmer auf, und zwei der Möbelpacker blieben zögerlich stehen, bevor sie den Raum betraten. »Wir würden jetzt gerne diese Sachen rausholen«,sagte einer der Männer. »Ist so ziemlich alles, was noch übrig ist.«
    Merlin erhob sich. »Kein Problem. Ich glaube, Dr. Starks wollte auch gerade gehen.«
    Ricky stand ebenfalls auf. Er nickte. »Ja, allerdings.« Er sah auf die Karte des Anwalts. »Unter der Adresse sollte mein Anwalt sich mit Ihnen in Verbindung setzen?«
    »Ja.«
    »In Ordnung«, sagte er. »Und Sie sind wann erreichbar?«
    »Für Sie jederzeit, Doktor. Ich denke, Sie täten gut daran, die Angelegenheit unverzüglich zu regeln. Wäre doch ein Jammer, wenn Sie sich Ihre kostbare Urlaubszeit damit verderben würden, sich über mich Gedanken zu machen, nicht wahr?« Ricky sagte nichts, auch wenn ihm auffiel, dass er gegenüber dem Anwalt seine Ferienpläne nicht erwähnt hatte. Er nickte nur, drehte sich um und verließ die Kanzlei, ohne noch einmal zurückzusehen.
     
    Ricky schlüpfte in ein Taxi und bat den Fahrer, ihn zum Plaza-Hotel zu fahren.

Weitere Kostenlose Bücher