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Der Patient

Titel: Der Patient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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Fernsehen oder Hausaufgaben oder Videospielen, denn ein Anruf aus heiterem Himmel von einem entfernten Verwandten war nicht unbedingt etwas, das auf ihrer Prioritätenliste ganz oben stand.
    »Na ja, mein Anliegen ist etwas seltsam«, sagte er.
    »War ein seltsamer Tag hier«, erwiderte der Teenager.
    Bei dieser Bemerkung war Ricky hellwach. »Wie das?«, fragte er.
    Doch der Teenager beantwortete die Frage nicht. »Ich bin mir nicht sicher, ob mein Dad im Moment reden möchte, es sei denn, er weiß, worum es geht.«
    »Nun ja«, sagte Ricky vorsichtig, »ich denke, was ich ihm zu sagen habe, wird ihn interessieren.«
    Timothy junior ließ diese Auskunft sacken, bevor er antwortete, »Mein Dad ist im Moment beschäftigt. Die Cops sind noch da.«
    Ricky schnappte nach Luft. »Die Polizei? Ist was passiert?«
    Der Teenager ignorierte die Frage, um selbst eine zu stellen.
    »Wieso rufst du an? Ich meine, wir haben ewig nichts von dir gehört, seit …«
    »Vielen Jahren, mindestens zehn. Seit der Beerdigung deiner Großmutter.«
    »Ja, eben, hatte ich mir schon gedacht. Und wieso auf einmal jetzt?«
    Ricky musste einräumen, dass der Junge zu Recht misstrauisch war. Er wechselte zu seiner Standardrede. »Ein ehemaliger Patient von mir – du erinnerst dich, dass ich Arzt bin, Tim, nicht? – könnte versuchen, mit einigen meiner Verwandten in Verbindung zu treten. Und auch wenn wir in all den Jahren keinen Kontakt hatten, möchte ich die Leute warnen. Deshalb rufe ich an.«
    »Was ist das für ein Patient? Du bist Seelenklempner, oder?«
    »Psychoanalytiker.«
    »Und dieser Patient? Ist der gefährlich? Oder verrückt? Oder beides?«
    »Ich denke, darüber sollte ich mich mit deinem Dad unterhalten.«
    »Wie gesagt, er redet im Moment mit der Polizei. Ich glaube, sie gehen gerade.«
    »Wieso spricht er mit der Polizei?«
    »Das hat mit meiner Schwester zu tun.«
    »Was hat mit deiner Schwester zu tun?« Ricky versuchte, sich an den Namen des Mädchens zu erinnern und sie sich vorzustellen, doch ihm dämmerte nur das Bild eines kleinen, blonden Mädchens, das ein paar Jahre jünger als ihr Bruder war. Er entsann sich, wie die beiden nach der Beisetzung seiner Schwester unbehaglich steif, dunkel gekleidet, schweigsam, doch nur mühsam beherrscht beiseite gesessen und sehnlichst darauf gewartet hatten, dass der feierliche Ton der Versammlung verflog und Normalität eintrat.
    »Jemand ist ihr gefolgt …«, fing der Teenager an, unterbrach sich aber an dieser Stelle. »Ich glaube, ich hol mal meinen Vater«, sagte er energisch. Ricky hörte das Telefon auf einer Tischplatte klappern und verhaltene Stimmen im Hintergrund.
    Wenig später nahm jemand das Telefon, und Ricky hörte eine Stimme, die der des Teenagers zum Verwechseln ähnelte, bis auf den matten, erschöpften Ton. Zugleich klang die Stimme gehetzt, wie unter Druck und hilflos unentschlossen. Ricky hielt sich zugute, ein Stimmenexperte zu sein – aus Modulation und Tonlage, aus Wortwahl und Sprechtempo Schlüsse ziehen zu können auf das, was sich dahinter verbarg. Der Vater des Teenagers kam gleich zur Sache.
    »Onkel Frederick? Das kommt höchst überraschend, und ich stecke hier mitten in einer familiären Krise, ich kann also nur hoffen, dass es wirklich wichtig ist. Was kann ich für dich tun?«
    »Hallo, Tim. Tut mir leid, dass ich so mit der Tür ins Haus falle …«
    »Schon in Ordnung. Tim junior sagt, es gehe um eine Warnung …«
    »Gewissermaßen, ja. Ich habe heute einen etwas kryptischenBrief von jemandem bekommen, der ein ehemaliger Patient sein könnte. Man könnte sagen, dass darin eine Drohung anklingt. Die galt in erster Linie mir. Aber aus dem Brief geht auch hervor, dass der Schreiber mit einem meiner Verwandten Kontakt aufnehmen will. Ich hab in der Familie rumtelefoniert, damit alle Bescheid wissen und um festzustellen, ob er sich schon bei einem von ihnen gemeldet hat.«
    Es herrschte tödliches, eisiges Schweigen.
    »Was für ein Patient?«, nahm Tim senior in scharfem Ton die Frage seines Sohnes auf. »Ist er gefährlich?«
    »Ich weiß nicht, wer genau. Der Brief war nicht unterschrieben. Ich vermute nur, dass es ein ehemaliger Patient ist, aber ich kann es nicht mit Sicherheit sagen. Um die Wahrheit zu sagen, weiß ich bis jetzt im Grunde noch gar nichts über ihn.«
    »Das klingt vage. Höchst vage.«
    »Das stimmt. Tut mir leid.«
    »Nimmst du die Drohung ernst?«
    Ricky hörte einen schroffen Unterton heraus.
    »Ich weiß es nicht.

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