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Der Patient

Titel: Der Patient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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verbinden wir sofort etwas, das unsere Sicherheit gefährdet. Ein Mann mit einer Pistole oder einem Messer und einer sexuellen Obsession. Oder ein Betrunkener am Steuer, der auf dem Highway fahrlässig auf die Tube drückt. Oder irgendeine heimtückische, schleichende Krankheit wie die, an der seine Frau gestorben war.
    Ricky stand auf und fing an, im Zimmer auf und ab zu laufen. Wir haben Angst davor, getötet zu werden. Dabei ist es viel schlimmer, vernichtet zu werden.
    Er warf einen Blick auf Rumpelstilzchens Brief.
Vernichten
. Er hatte das Wort in einem Atemzug mit
zerstören
verwandt. Sein Gegner war jemand, der wusste, dass die eigentliche Bedrohung, der wir am wenigsten entgegenzusetzen haben, von innen kommt. Die Qual und die Nachwirkungen eines Albtraums können weitaus schlimmer sein als die eines Faustschlags. Und selbst dann ist es zuweilen nicht so sehr die Faust als solche, die den entscheidenden Schmerz verursacht, sondern die Gefühle dahinter. Er blieb abrupt stehen und drehte sich zu dem kleinen Bücherregal um, das an einer der Seitenwände im Praxiszimmer stand. Darin waren Texte in Reihen angeordnet – größtenteils medizinische Texte und Fachzeitschriften. Diese Bücher enthielten buchstäblich hunderttausende Wörter, die mit klinischer Präzision eiskalt die Bandbreite menschlicher Gefühle sezierten. Von einem Moment zum anderen begriff er, dass ihm all dieses Wissen höchst wahrscheinlich nicht das Geringste nützen würde.
    Am liebsten hätte er eins dieser Lehrbücher aus einem dieser Fächer geholt, im Index unter R wie Rumpelstilzchen nachgeschaut und dann die Seite aufgeschlagen, auf der eine nüchterne, schnörkellose Beschreibung des Mannes zu finden war, der ihm den Brief geschrieben hatte. Ihn überkam eine erneute Woge der Angst, als er sich klar machte, dass es keinen solchen Eintrag gab. Und er merkte, wie er sich von den Büchern abwandte, die bis zu diesem Moment seine berufliche Laufbahn geprägt hatten, und erinnerte sich stattdessen an jene Stelle in einem Roman, den er seit seinen College-Zeiten nicht mehr gelesen hatte. Ratten, dachte Ricky.
Sie sperrten Winston Smith in einen Raum mit Ratten, da sie wussten, dass sonst nichts auf dieser Welt ihn wahrhaft in Angst und Schrecken versetzte. Der Tod nicht, ebenso wenig Folter. Ratten
.
    Er sah sich in seiner Wohnung und seinem Sprechzimmer um,einem Ort, der viel über ihn verriet, an dem er viele Jahre glücklich und zufrieden gewesen war. In dieser Sekunde fragte er sich, ob sich das von jetzt an grundlegend ändern und ob sich diese Räumlichkeiten in seinen eigenen fiktionalen Raum 101 verwandeln würden. Den Ort, an dem sie »die schlimmste Sache der Welt« bereithielten.

3
     
    Es war jetzt genau Mitternacht, und er fühlte sich töricht und vollkommen allein.
    Sein Sprechzimmer war mit Schnellheftern und Zetteln übersät, mit stapelweise Stenoblocks, großformatigen losen Blättern und einem altmodischen Diktiergerät, das seit zehn Jahren unter einem Stapel passender Kassetten geschlummert hatte. Diese Haufen stellten die magere Ausbeute an Dokumentationsmaterial dar, das er im Lauf der Jahre über seine Patienten angesammelt hatte. Sie bargen Notizen über Träume, hingekritzelte Einträge, die aufschlussreiche Assoziationen seiner Patienten festhielten oder auch solche, die ihm selbst im Verlauf einer Behandlung gekommen waren: Schlüsselbegriffe, -wendungen, -erinnerungen. Hätte man in einer Skulptur den Gedanken zum Ausdruck bringen wollen, dass die Psychoanalyse so sehr eine Kunst wie eine medizinische Wissenschaft war, dann hätte man kaum eine bessere Formgebung finden können als das Durcheinander, das ihn umgab. Er verfügte über keine ordentlichen Formulare, auf denen Größe, Gewicht, Hautfarbe, Religion oder Staatsangehörigkeit verzeichnet waren; über keine alphabetisch geordneten Patientenakten mit Blutdruck, Körpertemperatur, Urinproben oder Puls. Ricky Starks konnte nicht einmal auf Krankenblätter mit Namen, Adressen, nächsten Angehörigen und Diagnosen zurückgreifen.
    Ricky Starks war kein Internist oder Kardiologe oder Pathologe,der bei jedem Patienten nach einer klaren Antwort auf ein Leiden suchte und der
en detail
Behandlung und Heilungsverlauf notierte und dokumentierte. Seine Fachrichtung trotzte den wissenschaftlichen Methoden, die andere Disziplinen beherrschten. Diese Besonderheit stempelte den Psychoanalytiker zu einer Art medizinischem Außenseiter und war genau das, was die

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