Der Patient
Anschrift zurück. Die neue Kanzlei ist einen Block weiter. Der Kerl bei der Druckerei hat sich nur mit einer Ziffer vertan, und wir haben es leider nicht sofort bemerkt. Ich muss so etwa ein Dutzend davon vergeben haben, bevor ich den Fehler entdeckte. So was kann passieren. Soweitich weiß, haben sie den armen Teufel gefeuert, weil die Druckerei den ganzen Posten schlucken und neue Karten drucken musste.« Merlin griff in die Brusttasche und zog ein Lederetui heraus. »Hier«, sagte er. »Das ist die richtige.« Er reichte Ricky eine Karte, der begriffsstutzig darauf starrte und dann eine ausladende, abwehrende Geste machte.
»Ich glaube Ihnen nicht«, sagte Ricky. »Ich glaube Ihnen gar nichts mehr, was Sie sagen, weder jetzt noch in Zukunft. Ein paar Tage danach waren Sie auch bei mir, vor meiner Wohnung, mit der Nachricht in der
Times
. Ich weiß, dass Sie das waren.«
»Vor Ihrer Wohnung? Wie seltsam. Wann soll das gewesen sein?«
»Um fünf Uhr früh.«
»Bemerkenswert. Woher wollen Sie wissen, dass ich das war?«
»Der Zeitungsausträger hat Ihre Schuhe genau beschrieben. Die übrige Beschreibung stimmte auch.«
Merlin schüttelte zum zweiten Mal den Kopf. Darauf folgte ein Grinsen, das wieder etwas Katzenhaftes hatte, wie schon bei ihrer ersten Begegnung. Es sagte Ricky, dass der Anwalt sich auf seine Aalglätte verließ und wusste, dass Ricky ihn nicht festnageln konnte. Eine wichtige Fähigkeit für seinen Beruf. »Nun ja, Dr. Starks, der Gedanke, meine Kleidung und Erscheinung seien unverwechselbar, schmeichelt mir durchaus, ich fürchte nur, die Wahrheit ist ein wenig banaler. Meine Schuhe mögen zwar ganz schön sein, aber man kann sie in Dutzenden Läden kaufen, und im Zentrum von Manhattan sind sie keineswegs ungewöhnlich. Ich trage die üblichen Nadelstreifenanzüge von der Stange – Business-Standard, würde ich sagen. Gute Qualität, aber für Sie oder jeden anderen, der fünfhundert Dollar in der Tasche hat, erschwinglich. Vielleichtgehe ich bald wie andere auch zu Maßanzügen über. Ich habe Ambitionen in der Richtung. Im Moment gehöre ich aber noch zu den weiten Kreisen unserer Bevölkerung, die in die Herrenabteilung, dritter Stock, marschieren, wenn sie was Neues brauchen. Konnte dieser Zeitungsbursche mein Gesicht beschreiben? Oder vielleicht mein ach so schütteres Haar? Nicht? Die Antwort liegt Ihnen auf der Zunge. Ich hätte daher so meine Bedenken, dass meine Identifizierung einer genauen Überprüfung standhalten würde. Diejenige, die Sie so überzeugend finden, allemal. Ich glaube, Doktor, das bringt Ihr Beruf mit sich. Sie nehmen das, was die Leute sagen, zu ernst. Sie meinen, dass Worte, die man miteinander wechselt, einen der Wahrheit näher bringen, während sie mir dazu dienen, die Wahrheit zu verschleiern.«
Der Anwalt schielte mit einem schiefen, leicht spöttischen Grinsen zu Ricky hinüber. »Sie scheinen unter Druck zu stehen, Doktor.«
»Das wissen Sie wohl am besten, Mr. Merlin, da entweder Sie oder Ihr Auftraggeber diesen Druck erzeugen.«
»Wie ich Ihnen bereits sagte, Doktor, ist meine Auftraggeberin eine junge Frau, an der Sie sich vergangen haben. Das hat mich zu Ihnen geführt.«
»Aber sicher. Wissen Sie was, Mr. Merlin?«, sagte Ricky, und erst jetzt schlich sich ein ärgerlich schroffer Ton bei ihm ein.
»Wissen Sie was? Gehen Sie und suchen Sie sich einen anderen Platz. Der hier ist besetzt. Von mir. Ich will mich nicht weiter mit Ihnen unterhalten. Ich mag es genauso wenig, belogen zu werden, wie Sie, und ich höre mir das nicht länger an. Es gibt eine Menge freie Plätze in diesem Zug …« Ricky deutete mit einer wilden Geste in dem fast leeren Waggon herum. »Suchen Sie sich einen aus und lassen Sie mich in Frieden. Oder hören Sie wenigstens auf, mich anzulügen.«
Merlin rührte sich nicht vom Fleck.
»Das wäre nicht klug«, sagte er bedächtig.
»Vielleicht habe ich es satt, klug zu handeln«, entgegnete Ricky. »Vielleicht sollte ich unbesonnen handeln. Und jetzt lassen Sie mich in Ruhe.« Er rechnete nicht damit, dass der Anwalt seiner Aufforderung folgte.
»Haben Sie sich tatsächlich so verhalten?«, fragte Merlin.
»Klug? Haben Sie sich an einen Anwalt gewendet, wie ich Ihnen geraten hatte? Haben Sie etwas unternommen, um sich und Ihr Vermögen vor gerichtlichen Schritten und peinlichen Enthüllungen zu schützen?«
»Ich habe Schritte unternommen«, erwiderte Ricky. Er war sich nicht sicher, ob das den Tatsachen entsprach.
Der
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