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Der Patient

Titel: Der Patient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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darin, dass Anwälte in einer Welt arbeiten, in der nichts sicher ist. In unserer Welt gibt es allenfalls Vermutungen und Überzeugungen. Aber wenn ich recht drüber nachdenke, ist es bei Ihnen vielleicht auch nicht so viel anders, Doktor. Stellen Sie nicht auch Vermutungen an?«
    »Kommen Sie auf den Punkt.«
    Wieder lächelte der Anwalt. »Ich wette, den Satz haben Sie noch nie gegenüber einem Patienten gebraucht.«
    »Sie sind nicht mein Patient.«
    »Stimmt. Sie glauben also, Sie hätten einen Unfall gesehen. Wen hat es erwischt?«
    Ricky konnte nicht sagen, wieviel der Mann über Dr. Lewis wusste. Möglicherweise alles. Vielleicht aber auch nichts. Ricky schwieg beharrlich.
    Der Anwalt beantwortete schließlich selbst seine Frage. »Jemanden, den Sie einmal kannten und dem Sie vertraut haben und den Sie in der etwas optimistischen Hoffnung aufgesucht haben, er könnte Ihnen in Ihrer gegenwärtigen Situation behilflich sein. Hier …« Er tippte einige Zahlen ein und reichte Ricky das Handy. »Stellen Sie Ihre Frage. Drücken Sie auf
Senden
, damit es funktioniert.«
    Ricky zögerte, doch dann nahm er das Telefon und tat, was der Mann verlangte. Es tutete einmal, dann meldete sich eine Stimme. »Staatspolizei Rhinebeck. Trooper Johnson. Wie kann ich Ihnen helfen?«
    Ricky schwieg gerade so lange, dass der Trooper wiederholte, »Staatspolizei, hallo?« Dann redete er.
    »Hallo, Trooper, Dr. Frederick Starks am Apparat. Als ich heute Morgen zum Bahnhof fuhr, gab es offenbar auf der River Road einen Unfall. Ich hege die Befürchtung, dass es jemanden betrifft, den ich kenne. Können Sie mir wohl sagen, was passiert ist?«
    Der Trooper reagierte erstaunt, aber bestimmt: »Auf der River Road? Heute Morgen?«
    »Ja«, sagte Ricky. »Da war ein Trooper, der den Verkehr umgeleitet hat …«
    »Und Sie sagen, heute?«
    »Ja, vor gerade mal zwei Stunden.«
    »Tut mir leid, Doktor, aber uns liegen für heute Morgen keine Unfallmeldungen vor.«
    Ricky saß plötzlich senkrecht. »Aber ich hab doch mit eigenen Augen gesehen … mit einem blauen Volvo? Der Name des Opfers ist Dr. William Lewis. Er wohnt in der River Road …«
    »Jedenfalls nicht heute. Wir hatten hier genauer gesagt seit Wochen keine Unfallermittlung mehr, was für den Sommer ziemlich ungewöhnlich ist. Und ich hab seit sechs heute früh Bereitschaftsdienst, jeder Polizei- oder Notruf wäre also bei mir gelandet. Sind Sie sicher, dass Sie das gesehen haben?«
    Ricky holte tief Luft. »Dann muss ich mich wohl geirrt haben. Danke, Trooper.«
    »Kein Problem«, sagte der Mann und legte auf.
    Ricky drehte sich alles im Kopf. »Aber ich habe doch selber gesehen …«, fing er an.
    Merlin schüttelte den Kopf. »Was haben Sie gesehen? Tatsächlich gesehen? Überlegen Sie mal, Doktor Starks. Denken Sie in Ruhe drüber nach.«
    »Ich habe einen Trooper gesehen …«
    »Haben Sie auch seinen Streifenwagen gesehen?«
    »Nein. Er stand da und hat den Verkehr geregelt und er hat gesagt …«
    »›Er hat gesagt …‹, toller Satz. ›Er hat also gesagt‹, und Sie haben es für bare Münze genommen. Sie haben einen Mann gesehen, der ein bisschen wie ein Trooper der Staatspolizei angezogen war, also gehen Sie gleich davon aus, dass es auch einer war. Haben Sie in der Zeit, die Sie an der Kreuzung standen, gesehen, wie er andere Autos umgeleitet hat?«
    Ricky sah sich gezwungen, den Kopf zu schütteln. »Nein.«
    »Demnach kann es sonst jemand gewesen sein, der einen Pfadfinderhut trug? Wie genau haben Sie sich seine Uniform angesehen?«
    Ricky stellte sich den jungen Mann vor und musste einräumen, dass er sich vor allem an Augen erinnerte, die unter einem Smokey-the-Bear-Hut hervorschauten. Er versuchte, sich andere Einzelheiten ins Gedächtnis zu rufen, doch vergeblich. »Er sah wie ein State-Trooper aus«, sagte Ricky.
    »Aussehen zählt herzlich wenig. In Ihrem Geschäft wie dem meinen, Doktor«, sagte Merlin. »Also, wie sicher konnten Sie sein, dass es einen Unfall gegeben hat? Haben Sie einen Krankenwagen gesehen? Einen Löschzug vielleicht? Andere Polizisten oder Leute vom Rettungsdienst? Haben Sie Sirenen gehört? Vielleicht das typische Geräusch von Hubschrauberrotoren?«
    »Nein.«
    »Demnach haben Sie sich schlicht auf die Aussage eines einzigen Mannes verlassen, derzufolge es einen Unfall gegeben hat, in den jemand verwickelt gewesen ist, mit dem Sie gerade zusammen gewesen waren, und Sie sahen keine Notwendigkeit, der Sache nachzugehen? Sie sind einfach

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