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Der Pestengel von Freiburg

Der Pestengel von Freiburg

Titel: Der Pestengel von Freiburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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handelte es sich weder in Freiburg noch bei den meisten anderen Pogromen um spontane Massenerhebungen des Pöbels. Schon Wochen vor dem Morden hatten sich die oberrheinischen Städte Basel, Straßburg und Freiburg untereinander beraten und waren übereingekommen: Die unfassbare, tödliche Bedrohung, die sich gleich einer Flutwelle von Frankreich und Italien her auf Süddeutschland zuwälzte, sei nur abzuwenden, indem man die Urheber außer Gefecht setze. So begann nicht nur am Oberrhein, sondern in ganz Deutschland die mit Abstand größte Judenverfolgung des Mittelalters, deren Ausmaße mit der Vernichtung von über 350 jüdischenGemeinden und Abertausenden Toten nur noch durch den Holocaust übertroffen werden sollten.
    Die Judenpogrome des Jahres 1349 sind demnach nicht als Folge der Großen Pest zu sehen, sondern als Ausdruck der Angst vor ihr. Doch reicht diese Erklärung aus für die massenhafte Vernichtung einer kleinen Minderheit? In den Städten am Oberrhein lebten die Juden schließlich seit über zweihundert Jahren in enger Nachbarschaft mit den Christen, gingen unbehelligt ihrem Glauben wie ihren Geschäften nach. Sie konnten sich frei bewegen, mussten sich keinen gelben Ring auf die Kleidung nähen oder sich sonst einem Kleiderzwang unterwerfen. (Entgegen landläufiger Meinung gehörten der spitze Judenhut wie auch der gestutzte Vollbart oder der Schleier bei den Frauen zur selbstgewählten Tracht. Die stigmatisierende Kennzeichnung durch Kleiderzwang und gelben Ring, wenn auch bereits 1215 von Papst Innozenz   III. ausdrücklich verordnet, setzte sich erst später, um 1380, durch.)
    Die Freiburger jüdische Gemeinde war im Gegensatz zu den traditionsreichen jüdischen Gemeinden in Speyer, Worms und Mainz oder auch zu jener im benachbarten Straßburg eher klein. An die hundert Männer, Frauen und Kinder lebten vor der Großen Pest im Bereich der heutigen Weber- sowie Wasserstraße, wo sich ihre Synagoge befand. Und wie anderswo auch verdienten viele von ihnen ihr Brot als Münzwechsler und Geldverleiher.
    Nicht allein durch die drohende Pestwelle fand diese Zeit des friedlichen Nebeneinanders ihr Ende. Schon seit 1340 erlebte die Zähringerstadt, nach langer wirtschaftlicher Blütezeit durch Handel, Handwerk und Silberbergbau, einen Abschwung, der mit sozialen Spannungen verbunden war. Die Erzvorkommen schwanden, die Grafen von Freiburg brachtendie Stadt mit ihrer Verschwendungssucht an den Rand des Ruins, das selbstbewusst gewordene zünftische Handwerk begann gegen die Misswirtschaft ihrer Stadtherren sowie gegen das alte Stadtpatriziat aufzubegehren. Dabei kippte auch die Stimmung gegen die Juden. Wie schon zuvor in Basel und hernach in Straßburg wurden die Freiburger Juden gefangen genommen, grausam gefoltert und schließlich bis auf wenige Ausnahmen verbrannt. Die Freiburger jüdische Gemeinde war vernichtet.
    Auf welcher Grundlage nun konnte dieser systematisch geschürte Hass gegen die Juden überhaupt gedeihen? Über Jahrhunderte waren sie als ausgegrenzte, aber auch gebildete und selbstbewusste religiöse Minderheit wirtschaftlich sehr erfolgreich gewesen, war es ihnen immer wieder gelungen, aus jeder Situation das Bestmögliche zu machen. Durch ihre Rolle als Kreditgeber hatten sie eine wichtige Bedeutung für die städtische wie überregionale Wirtschaft. Die Kehrseite der Medaille: Man schmähte sie als überheblich, geldgierig und rücksichtslos.
    Dabei hatten sich die Juden diese Rolle nicht ausgesucht. Wegen des christlich-bruderschaftlichen Charakters der Zünfte blieb ihnen das Handwerk verwehrt; sie durften kein Land bebauen, kein Bürgerrecht erwerben und damit auch kein Amt bekleiden. Selbst der Handel war ihnen weitgehend verboten. So blieb ihnen nur die Spezialisierung auf freie Berufe wie Arzt oder Trödler, auf besondere Bereiche des Handels (etwa mit Vieh, Gold und Juwelen) und ganz besonders auf das Geldgeschäft, sprich: auf den Geldverleih. Letzteres nämlich war den Christen durch das kirchliche Zinsverbot verwehrt. Dass die jüdischen Darlehensgeber mitunter unnachgiebig auf ihre Zinszahlungen bestanden, hatte seinen Grund auch in denenormen Steuern, die ihnen vor allem für die Gewährung von Schutz abverlangt wurden. Gleich dreifach mussten sie in der Regel Abgaben leisten: an die Stadt, an den jeweiligen Landesherrn und an den König.
    Nicht zuletzt diese Fähigkeit, sich anzupassen, zu improvisieren und selbst unter widrigsten Umständen wirtschaftlich erfolgreich zu

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