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Der Pestengel von Freiburg

Der Pestengel von Freiburg

Titel: Der Pestengel von Freiburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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Füßen lag Lea und schlief.
    Esther drückte ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange. «Denkst du denn, bei uns ist es viel anders als bei euch? DieFreuden zwischen Mann und Frau sind nur in der Ehe erlaubt.»
    «Dann ist unser Kind also auch in deinem Glauben in Sünde geboren?»
    «Nein, nein, so ist es nicht. Ich hab in Heidelberg viel mit dem Rabbiner gesprochen. Ein Kind ist bei uns immer ein Segen, es trägt niemals die Sünden seiner Eltern in sich. Lea ist zwar nicht in der Ehe gezeugt, aber deshalb noch lang kein Bastard. Da du als Vater sie anerkennst, ist sie auch kein illegitimes Kind. Sie hat also einen rechtmäßigen Vater und wird später dieselben Rechte und Pflichten haben wie ihre Geschwister.»
    Esther hatte sich so in Eifer geredet, dass ihre Wangen gerötet waren. Gerührt zog Benedikt sie an sich und küsste ihren schönen Mund. «Du willst sagen: wie ihre zahlreichen Geschwister.»
    Mit der Rechten knöpfte er ihr Gewand auf, mit der Linken zeichnete er die Linie ihres Halses, ihres Schlüsselbeins, ihrer Schultern nach und ließ seine Lippen dieser Linie folgen.
    Lachend schob Esther ihn fort von sich. «Mit den Geschwistern wirst du dich gedulden, bis wir verheiratet sind. Und dazu musst du zuallererst Hebräisch lernen.»
    «Sag bloß, du traust mir das nicht zu.» Er versteckte sein Gesicht in ihrem weichen Haar. «Ich würde alles tun, damit ich bei dir sein darf.»
    «Du musst 613 göttliche Gebote kennen. Nicht nur zehn.»
    «Ich würde auch tausend lernen.» Er ließ sie los und lächelte sie triumphierend an. «Ob du es glaubst oder nicht – eines kenne ich. Das wichtigste.» Er straffte die Schultern. «Deshalb verlasse der Mann seine Familie und seine Mutter und folge seiner Frau, auf dass sie ein Fleisch werden. Da staunst du, nicht wahr?»
    Er küsste den Ansatz ihrer Brüste.
    «Ich weiß sogar, dass im jüdischen Glauben die Ehe ein Ort der Sinnesfreude ist und dass Mann und Frau nicht nur zur Fortpflanzung einander beiwohnen. Ich weiß mehr über deinen Glauben, als du denkst!»
    Während er versuchte, ihr das Gewand abzustreifen, hielt sie seine Hand fest. «Du wirst beschnitten werden.»
    Benedikt zuckte unwillkürlich zusammen.
    «Wie garstig du sein kannst.» Er knöpfte ihr Kleid wieder zu. «Nun gut, halten wir uns an die Gesetze unseres Glaubens. – Aber küssen dürfen wir uns?», fragte er leise.
    «Darüber habe ich den Rebbe nicht befragt.»
    «Dann dürfen wir», beschied Benedikt und näherte sich ihrem Mund. Sie schüttelte lachend den Kopf, öffnete dann die Lippen und erwiderte seinen Kuss. Ganz fest hielten sie einander in den Armen, küssten und streichelten sich zärtlich, bis Lea erwachte. Benedikt hob seine kleine Tochter vorsichtig aus der Wiege heraus und legte sie Esther in die Arme.
    «Was ist mit Eli und Jossele – sollen wir sie mitnehmen?», fragte er.
    Esther lächelte.
    «Genau das hat mich deine Mutter gestern auch schon gefragt. Aber die beiden gehören zu ihr. Und zu deinen Geschwistern. Jossele weiß nicht mal mehr, dass ich seine Schwester bin. An unsere Eltern kann er sich nicht erinnern. Vielleicht ist das ja am besten so.» Ihr Gesicht wurde ernst. «Was ist mit dir? Wird es dir nicht das Herz brechen, deine Heimatstadt zu verlassen?»
    «Nein. Weil wir dann endlich beisammen sein werden als Mann und Frau. Und weil ich dich mehr liebe als alles auf der Welt. Dich und unsere Lea.»
    «Hör zu, Benedikt, wir müssen es deiner Mutter endlich sagen.»
    «Was?»
    «Dass wir nicht in irgendeine Nachbarstadt ziehen. Sondern nach Krakau. Und dass es ein Abschied für immer sein wird.»
     
    Von jenem Augenblick an, als Clara in Lea ihr Enkelkind erkannt hatte, wusste sie, dass sie ihren ältesten Sohn verlieren würde. Benedikt und Esther waren einander versprochen. Gott der Allmächtige hatte die beiden wieder zusammengeführt, und zwar nicht im Tod, sondern mitten im Leben. Dass das Schicksalsrad sie nun aber bis ins ferne Königreich Polen mitnehmen würde, schmerzte sie mehr, als sie ertragen konnte.
    Sie saß in der Küche und wartete auf Mechthild, auf dass sie sie abholen komme. Alle zusammen wollten sie Benedikt und Esther bis vor das Obertor bringen, wo das Fuhrwerk wartete. Im Auftrag eines Freiburger Handelsmannes brachte es Tuche nach Ulm, bis dorthin würden sie mitfahren können.
    Einen einzigen, höchst lächerlichen Versuch hatte Clara unternommen, um den Abschied zu verhindern. Sie hatte Pfarrer Cunrat aufgesucht, der sich seit

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