Der Pfad des Zorns - Das Buch und das Schwert 1: Buch & Schwert 1 (German Edition)
hatte dem ehemaligen Bischof den Verrat vor vielen Jahren zwar nie ganz verziehen, doch ein derartig hartes Los erschien auch ihm zu grausam. Immerhin hatte sich Anvelin oft für ihn eingesetzt, als er noch ein jugendlicher Ritterlehrling war, und ganz gleich, was ihm vorgeworfen wurde, er blieb dennoch der Bischof von Emeris und ein verdienter Kirchenmann.
Die beiden Eindringlinge wurden von allen Seiten misstrauisch beäugt. Nur ein jüngerer Ratsherr mit einer Narbe unter dem rechten Auge legte mehr Neugier als Furcht an den Tag. Verstohlen versuchte er, das Gesicht unter der goldenen Maske zu erkennen.
»Ergreift sie«, schrie sein Nachbar aufgebracht.
Der junge Ratsherr warf ihm einen amüsierten Blick zu.
»Das war aber nicht vorgesehen, Azdeki«, meldete sich ein anderer in der gegenüberliegenden Reihe.
Bald schon ereiferten sich alle und redeten durcheinander. Sogar Anvelin hatte sich umgedreht und sah zufrieden zu.
»Du bist da!«, flüsterte er glücklich. »Du bist tatsächlich gekommen.«
»Ratsherr Azdeki?«, rief Rhunstag und zog sein Schwert.
Doch Azdeki hörte nicht zu. Für ihn gab es nur noch die goldene Maske und das müde Gesicht Duns. Wortlos forderten sie sich heraus. Sie maßen sich mit Blicken und waren sich sicher, dass sich ihre Klingen jeden Augenblick kreuzen mussten. Hier würde alles enden, so stand es geschrieben. Die Anspannung wurde so greifbar, dass von selbst wieder Ruhe einkehrte.
»Ich weiß, wer du bist«, sagte Azdeki. »Ich kenne auch den Zorn, der dich antreibt. Ich verstehe ihn, und was für dich noch schlimmer ist: Ich respektiere ihn. Trotzdem kann ich nicht zulassen, dass du dich einer Verantwortung entgegenstellst, die ich übernehmen muss. Die Wahrheit steht in diesem Buch, Laerte von Uster.«
Bestürzt sahen die Ratsherrn einander an. Rhunstag und Bernevin wechselten einen Blick. Wie oft schon hatten sie diesen Namen gehört! Er war ein Mythos, der plötzlich ins Leben zurückkehrte, eine schreckliche Legende für diejenigen, die die Republik aufgebaut hatten. Laerte von Uster! War das nicht der Mann gewesen, der, wollte man Azdeki glauben, nach dem Sturz des Kaisers versucht hatte, die Macht an sich zu reißen?
»Tatsache ist, dass du Angst hast, Azdeki«, schrie Dun. »Und ich kann es dir nicht einmal verdenken.«
Azdeki lachte nervös auf. »Vor wem? Etwa vor dir, Daermon? Vor deinem spektakulären Auftritt, allein würdig eines Bauerntölpels, der du immer schon warst? Du weißt genau, dass du hier sterben wirst. Ebenso wie der junge Uster. Ich kenne mein Schicksal und schließe daher auf das eure. Ihr könnt nichts verhindern.«
Er bemühte sich, sicher zu klingen, doch die Angst verzerrte seine Züge. Bernevin und Rhunstag zögerten einen Augenblick, ehe sie vom Altarpodest herabstiegen. Der Meister und sein Schüler waren wieder vereint. Obwohl viel Zeit verflossen war, erinnerten sie sich noch allzu gut an das, was diese beiden während des Aufstands fertiggebracht hatten.
Azdeki trat einen Schritt vor. »Brüder«, forderte er die Mönche auf, »ich bedarf eures Segens.«
Doch die Mönche blieben stumm. Anvelin stützte sich wie gebannt auf seine Ellbogen. Laerte zog sich die Maske vom Gesicht und ließ sie fallen.
Aladzio wich langsam immer weiter zurück. Er suchte Laertes Blick, doch der Sohn des Oratio fixierte die drei Ratsherrn, die trotz ihres Alters zum Kampf bereit schienen.
»Du bekommst weder einen Segen noch das Vertrauen deiner Verbündeten«, spottete Laerte. »Dieses Buch da ist längst nicht so unzerstörbar, wie du behauptest, Azdeki. Und auch das Schicksal der Menschen steht nicht darin. Du wirst die Republik nicht unterjochen.«
»Ich habe nicht vor, die Republik zu stürzen«, gab Azdeki mit der Sicherheit eines Menschen zurück, der keinen Zweifel hegt. »Ich werde sie verteidigen.«
Er atmete tief ein und drehte sich erneut um.
»Gebt Ihr mir Euren Segen?«, fragte er die Mönche.
Einer von ihnen neigte den Kopf leicht zur Seite. Dann verkündete er ihm mit dumpfer, frostiger Stimme: »Ihr habt ihn.«
»Ergreift sie!«, befahl er seinen Soldaten.
Er wusste, dass es nicht leicht werden würde. Sowohl Dun als auch Laerte waren in der Lage, den Odem einzusetzen und würden sich den Soldaten nicht unterwerfen. Aber auf diese Weise konnte er Zeit gewinnen.
Als die Soldaten vorpreschten, presste sich Aladzio hinter die letzte Statue am Ende des Kirchenschiffs. Alles hätte ganz anders ablaufen sollen. Laerte hätte
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