Der Pfad des Zorns - Das Buch und das Schwert 1: Buch & Schwert 1 (German Edition)
stand nur Mildrel in einem langen, schwarzen Gewand. Ihr Gesicht hatte sie unter einem Schleier verborgen.
Niemand wusste, was sich genau im Palatio zugetragen hatte. Wie Lauffeuer verbreiteten sich Gerüchte und Halbwahrheiten. Dabei fiel immer wieder ein Name, der seit dem Sturz von Asham Ivani Reyes als verpönt galt.
Laerte von Uster.
Etienne Azdekis Körper wurde noch rechtzeitig vor dem Feuer in Sicherheit gebracht, nicht aber sein Kopf. Der Hohe Rat in Emeris gab schon bald eine Untersuchung in Auftrag, in der peinliche Fragen aufgeworfen, aber nur notdürftig beantwortet wurden. In der Hauptstadt herrschte gespannte Stimmung. Die Ratsherrn begegneten einander mit Misstrauen. Man ging davon aus, dass ein Staatsstreich gerade noch verhindert worden war, aber in den Korridoren des ehemaligen Kaiserpalasts wurde auch gemunkelt, dass das Komplott möglicherweise nicht von dem geschmiedet worden war, den man ursprünglich verdächtigte. Von Azinn Azdeki hatte man seit der Nacht der Masken nichts mehr gehört.
Auch das Liaber Dest wurde erwähnt. Angeblich war das Heilige Buch wiedergefunden worden.
Balian Azdeki legte vor dem Hohen Rat in Emeris ein bewegendes Zeugnis ab. Er schwor bei seiner Ehre, dass sein Vater über jeden Verdacht erhaben sei, immerhin habe er die Republik mit aufgebaut und gegen den Tyrannen Reyes gekämpft. Und das, nachdem er zuvor in seinen Diensten gestanden hatte, wurde hinter vorgehaltener Hand eingewendet.
Esyld wurde in den Zeugenstand gerufen, um die Aussage ihres Ehemanns zu untermauern. Schüchtern und mit Tränen in den Augen gestand sie den Ratsherrn, dass sie in der Nacht der Masken tatsächlich den Sohn Oratios von Uster im Palatio gesehen hatte. Sie gab zu, ihn von früher zu kennen, und dass er ihr gegenüber erklärt habe, sein Ziel sei es, die an diesem Abend anwesenden Ratsherrn zu ermorden. Da sich diese Aussagen mit dem deckten, was Etienne Azdeki schon früher immer behauptet hatte, ging man davon aus, dass Laerte von Uster einen Putsch geplant hatte und nach dem Vorbild der Familie Reyes die Macht an sich reißen wollte.
Und so kam es zu einer völlig entstellten Auffassung dessen, was als Wahrheit galt. Die Ratsherrn stritten sich ständig über eine Unzahl von Aspekten und deren Konsequenzen. Lediglich im Fall Laertes von Uster herrschte Einigkeit. Er war wieder da und stellte eine Bedrohung für die Republik dar. Auf seine Ergreifung wurde ein Kopfgeld ausgesetzt.
Jeder Bürger, vom Bauern bis zum Wirt und vom Soldaten bis zum Ratsherrn, kannte eine andere Version der Geschichte und machte sich Gedanken über Laertes Motive. Man sprach über seinen Treuebruch, seine Grausamkeit und seinen Rachefeldzug.
Aber niemand sprach über die Wahrheit der heroischen Rückkehr eines seit Langem zerbrochenen Ruhms. Niemand erinnerte sich des Namens Dun-Cadal Daermon, den man im strömenden Regen auf einem Friedhof am Meeresufer von Masalia begraben hatte.
Ein gutes Stück jenseits des Friedhofsgitters beobachtete Laerte, wie Mildrel den Mann beweinte, der schließlich doch noch würdevoll von ihr gegangen war.
Rache schreit nach Rache.
Wie schön und ruhig Mildrel doch war! Einen Augenblick lang fühlte sich Laerte versucht, sich ihr anzuschließen und Dun die letzte Ehre zu erweisen – seinem Meister, der ihn alles gelehrt hatte. Doch er tat es nicht. Leise zog er sich in die schmalen Gassen der Stadt zurück.
»Sie streiten sich wie die Kesselflicker«, schimpfte Aladzio. »Zwar hält man dich für den Schuldigen, aber in Wirklichkeit sind sie sich alles andere als einig. Das, was in Masalia geschehen ist, hat die Zwistigkeiten innerhalb der Ratsversammlung nur noch verstärkt.«
Nervös stapelte er Bücher auf den langen Tisch und ging immer wieder zwischen den Regalen hin und her. Der Winter stand vor der Tür. Obgleich sich die Bibliothek des Turms unter der Erdoberfläche befand, brachte dann und wann ein kalter Luftzug die Kerzenflammen zum Flackern.
»Alle Welt redet nur noch vom Liaber Dest . Der Fangol-Orden erwartet von den Ratsherrn, die in Masalia dabei waren, dass sie Rechenschaft über den Tod ihrer zu diesem Treffen entsandten Mitbrüder ablegen. Und was noch schlimmer ist – natürlich vor allem für De Page: Die Mönche beanspruchen einen Platz in der Ratsversammlung.«
Aladzio sortierte die Bücher ohne große Vorsicht. Diejenigen, die er für uninteressant hielt, warf er einfach auf den Boden. Die anderen verstaute er in großen
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