Der pfeifende Mörder
er keine Akten in seiner Tasche hat, Vater?«
»Sondern?«
»Ein Beil?«
Der Blitz schien eingeschlagen zu haben, aber ein Blitz ohne Donner. Es herrschte nämlich absolute Stille in dem Raum.
Erst nach einer kleinen Ewigkeit krächzte Uwe Hellmond: »Wie kommst du auf diesen Wahnsinn?«
»Vater«, sagte Antje, der nun vielleicht vor der eigenen Courage angst wurde, »wenn ich ihm unrecht tue, werde ich mir das nie im Leben verzeihen. Außerdem habe ich mich dann selbst genug bestraft, denn wenn er unschuldig ist, wäre er genau der Mann, in den ich mich unsterblich verlieben könnte. Ich habe dir ja gesagt, daß –«
»Wie kommst du zu deinem Verdacht mit dem Beil?« unterbrach Hellmond hart seine Tochter. Alles andere war für ihn nun belangloser Quatsch, den er nicht hören wollte.
Antje räusperte sich, dann fing sie mit dem rechten Zeigefinger an den Fingern der linken Hand zu zählen an.
»Erstens: Er hat mich angesprochen. Zweitens: sein Aussehen, seine Art; beides Spitze; aus dem Präsidium weiß ich, daß dem so sein muß. Drittens: Er erzählte mir von einer Reise nach England. Das wichtigste war für ihn der Richtblock, auf dem der Boleyn der Kopf mit dem Beil abgehackt wurde. ›Mit dem Beil abgehackt wurde‹, sagte er. Du hättest dabei seine Augen sehen sollen. Viertens: Er wollte mit mir durch den nächtlichen Nebel laufen und nicht, wie versprochen, mit dem Taxi fahren. Und fünftens: seine Aktentasche, in der, glaube ich, keine Akten waren.«
Uwe Hellmond blickte seine Tochter durchdringend an. In ihm war natürlich der Polizist wachgeworden, hellwach. Noch stand für ihn nichts fest, aber Antjes Aufzählung verfehlte selbstredend nicht ihre Wirkung auf ihn. Dabei hatte Antje im Eifer des Gefechts vergessen, das Wichtigste noch einmal aufzuzählen: daß der Mann ihr ans Herz gelegt hatte, über ihn nicht zu sprechen.
Plötzlich lief es ihm kalt über den Rücken, obwohl immer noch nichts feststand. Er dachte daran, was hätte passieren können, wenn dem Kerl der Wunsch, nicht mit dem Taxi zu fahren, in Erfüllung gegangen wäre.
Spontan erhob er sich, zog auch seine Tochter aus ihrem Sessel hoch, umarmte sie und drückte sie an sich.
»Antje, Antje …«, sagte er nur, ihr den Rücken betätschelnd.
Dann schob er sie einen Meter von sich weg, blickte sie, seine Hände auf ihren Schultern, stolz an und fragte sie: »Weißt du, was du bist?«
»Ein Genie, meinst du, Vater?« Antje wollte selbstironisch die Situation umdrehen. Gefühlsaufwallungen solcher Art war sie von ihrem Vater nicht gewohnt.
»Das bist du auch«, erklärte er aus tiefster Überzeugung. »Na ja, meine Tochter eben«, fügte er zufrieden hinzu. »In deinen Adern fließt Polizistenblut.«
Plötzlich fiel ihm ein: »Wie nannte der sich eigentlich?«
»Johan Neeskens.«
»Aha, die gibt's wie Sand am Meer. Und wann wollte er dich wiedertreffen?«
»Am nächsten Samstagabend.«
»Komm, zieh deinen Mantel an, wir müssen los, du weißt, wohin.«
»Ich nehme an, ins Präsidium.«
»Richtig, zu Kommissär Leerdam.«
»Bist du denn von der Richtigkeit meines Verdachts überzeugt?«
»Das spielt jetzt keine Rolle. Auf alle Fälle muß der Sache nachgegangen werden. Du hättest schon viel eher mit mir darüber reden müssen.«
»Man erwischt dich ja nie. Und mit Mutter wollte ich mich darüber nicht unterhalten.«
»Großer Gott!« stieß er hervor. »Nur das nicht! Die wäre vor Schreck tot unigefallen, da hast du recht. Also … kein Wort zu ihr, das gilt nach wie vor!«
Paul Leerdam aß gerade einen Apfel, als ihm seine Sekretärin meldete, daß ihn der Polizeibeamte Hellmond und dessen Tochter sprechen wollten.
»Herein mit ihnen!« sagte er, ruhig weiteressend, zur Sekretärin.
»Stört es Sie?« fragte er die beiden, als sie über die Schwelle traten. »Mir wackeln die Zähne, ich brauche Vitamine«, fügte er grinsend hinzu.
Dabei hatte er längst keine natürlichen Zähne mehr im Mund; aber das sollte ja der Witz bei der Sache sein.
Hellmond und seine Tochter waren zu zweit, und mehr als zwei Stühle hätte Leerdam auch gar nicht zur Verfügung gehabt, als er sie bat, Platz zu nehmen.
»Worum geht's?« fragte er dann.
Uwe Hellmond, der dienstlich mit der Mordkommission nichts zu tun hatte, antwortete: »Wie stehen die Ermittlungen gegen den Frauenmörder?«
Leerdams heitere Miene, mit der er seinen Besuch empfangen hatte, verdüsterte sich.
»Schlecht«, knurrte er. »Es ist wie verhext. Wir haben
Weitere Kostenlose Bücher