Der pfeifende Mörder
fragte ihn der Kellner.
»Kaffee.«
Leicht enttäuscht vernahm es Antje, fragte sich jedoch dann: Bin ich verrückt?
Die Mäntel waren von den beiden an der Garderobe abgegeben worden. Nicht aber war dies auch geschehen mit der Aktentasche. Diese lehnte nun wieder seitlich an einem Tischbein.
Neeskens war ein glänzender Gesellschafter. Im Handumdrehen gelang es ihm, Antje in seinen Bann zu schlagen. Mit faszinierender Unbekümmertheit unterhielt er sie. Er erzählte von seinen Reisen, die er schon durch Deutschland unternommen hatte. Besonders gut schien er Aachen zu kennen. Auch nach England war er bereits gekommen. Er berichtete vom Tower und dem Richtblock, an dem man Anna Boleyn mit dem Handbeil hingerichtet hatte.
»Schrecklich!« stieß Antje hervor.
»Was ist schrecklich?«
»Ich könnte vor einem solchen Block nicht stehen und daran denken, was da einmal geschehen ist.«
»Auf dem wurde nicht nur der Boleyn der Kopf abgehackt …«
»Sagen Sie nicht ›abgehackt‹«, fiel ihm Antje schaudernd ins Wort.
»Warum nicht?«
»Das klingt so entsetzlich.«
»Also gut … abgeschlagen. Zufrieden?«
Antje nickte. Was hätte sie sonst tun sollen?
Neeskens konnte es nicht lassen, den Satz zu ergänzen. Dort sei nicht nur der Boleyn der Kopf abgeschlagen worden, begann er noch einmal, sondern vielen anderen auch noch, Namenlosen. Der Staat habe damals diese offizielle Hinrichtungsart vorgezogen.
»Gehenkt wurde in England erst später, Antje.«
»Hören Sie auf, ich bitte Sie!«
In ihrer Abwehr streckte Antje nicht nur die Hände aus, sondern auch ihre Beine. Dabei geriet sie mit dem rechten Schuh an die Aktentasche und stieß sie um. Es polterte nicht, da das Lokal Teppichboden hatte. Antje bückte sich nach vorne, um die Tasche, die durch ihr Verschulden auf die Seite gekippt war, wieder ans Tischbein zu lehnen. Auch Neeskens wollte das gleiche tun wie Antje, kam aber zu spät. Antje hatte die Tasche schon am Griff und richtete sie auf. Der ganze Vorfall dauerte ein, zwei Sekunden, dann war er vorüber, und Neeskens konnte sehen, daß ihn überflüssigerweise ein heißer Schreck durchzuckt hatte. Das naive Mädchen ihm gegenüber blickte schon wieder in ihre Tasse Tee und sagte: »Noch ein Schluck, und wir können aufbrechen, Johan …«
»Wollen Sie nicht doch noch eine Tasse, Antje?«
»Nein, ich habe Ihnen doch gesagt, daß ich nach Hause muß. Sie können ja noch hierbleiben …«
»Wo denken Sie hin, Antje? Nein, nein, ich bringe Sie nach Hause …«, er warf einen größeren Geldschein auf den Tisch, »… kommen Sie, lassen Sie uns gehen …«
»Fahren!« sagte Antje mit deutlichem Nachdruck.
»Selbstverständlich fahren«, korrigierte sich Neeskens. »Mit dem Taxi, wie versprochen. Entschuldigen Sie, ich vergesse immer, daß ich das Laufen vorziehe, während andere das nicht tun.«
Es wurde also ein Mietwagen herbeitelefoniert, und als sie draußen vor dem Lokal auf das Erscheinen der Droschke warteten, sagte Neeskens: »Ich hoffe doch, daß wir uns wiedersehen, Antje …«
»Ich weiß nicht, Johan …«
»Antje …« Er sah ihr tief in die Augen. »Warum wissen Sie das nicht?«
»Meine Eltern sind sehr streng …«
»Aber Sie sind doch schon erwachsen!«
»Trotzdem … es sei denn, Sie würden selbst mit ihnen sprechen.«
»Wer, ich?«
Das klang erschrocken.
»Ja, Johan.«
»Nein, nein, Antje, doch nicht schon so bald! Erst müssen Sie mich richtig kennenlernen. Dann ja. Vorläufig möchte ich Sie sogar bitten, mit Ihren Eltern über mich kein Wort zu sprechen. Überhaupt mit niemandem. Wissen Sie, warum?«
»Nein.«
»Weil Sie das nur ablenken würde. Verstehen Sie, Ihre Konzentration auf mich würde dadurch gestört werden. Nur Sie, Sie ganz allein, sollen mich, von niemandem beeinflußt, bis auf den Grund meiner Seele kennenlernen. Sie werden sehen, das ist der beste Weg. Viel zu wenige Mädchen begehen ihn. Ein berühmter Professor der Psychologie in Amerika lehrt ihn seit Jahren und kann auf unglaubliche Erfolge verweisen. Versprechen Sie mir das?«
»Was?«
»Daß Sie sich vorläufig mit niemandem, auch nicht mit Ihren Eltern, über mich unterhalten werden?«
»Ja.«
»Prima, Antje. Und sollten Sie sich in mich verlieben – ich bin's jetzt schon in Sie –, werde ich der erste sein, der sich von Ihnen zu Ihren Eltern bringen läßt.«
Johan Neeskens lächelte gewinnend. Er war sich seiner Sache wieder einmal vollkommen sicher. Warum auch nicht? So blödsinnig
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