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Der Pfeil der Rache

Der Pfeil der Rache

Titel: Der Pfeil der Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.J. Sansom
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Rechtsanwälte, die Mittel und Wege hätten, Rätsel zu ergründen. Ich hasste den Gedanken, sie zu hintergehen. Doch die gegenwärtige Situation wurde mir langsam unerträglich.
    * * *
    Nach einer Weile rückten die hochaufragenden Türme von Hampton Court ins Blickfeld, die Schornsteine gekrönt mit goldenen Löwen und allerlei mythischen Tieren, die in der Sonne glänzten. Schließlich erreichten wir die Anlegestelle, wo Soldaten, mit Hellebarden bewehrt, ihren Dienst versahen. Das Herz klopfte mir heftig vor Sorge, als ich jenseits der breiten Rasenflächen Wolseys Palast erblickte. Ich zeigte einem der Wachsoldaten meinen Brief. Er verneigte sich tief, rief einen weiteren Wachmann hinzu und wies ihn an, mich zu begleiten.
    Ich musste an meinen letzten Besuch in Hampton Court denken, als ich Erzbischof Cranmer aufsuchte, nachdem man mich zu Unrecht in den Tower gesperrt hatte. Es war diese Erinnerung, in der meine Angst begründet war. Cranmer befand sich derzeit in Dover; es hieß, er habe die Soldaten dort auf einem weißen Ross und im Harnisch inspiziert. Eine ungewöhnliche Vorstellung, wenn auch nicht sonderbarer als alles andere, was im Augenblick vor sich ging. Der König weilte derzeit in Whitehall, wie ich von dem Wachmann erfuhr, also lief ich wenigstens nicht Gefahr, ihm zu begegnen. Ich hatte schon einmal sein Missfallen erregt, und König Heinrich vergaß niemals eine Schmach. Als wir an einem breiten, offenstehenden Tor anlangten, schickte ich ein Stoßgebet zu dem Gott, an den ich kaum noch glaubte, die Königin möge ihr Versprechen halten und mich auf keinen Fall in politische Angelegenheiten verwickeln.
    Ich wurde eine Wendeltreppe hinaufgeführt und gelangte in die Vorräume der königlichen Gemächer. Ich zog mir die Kappe vom Kopf, als wir einen Raum betraten, in dem Diener und Hofbeamte einherhasteten; auf den Kappen trugen sie die Insignien der heiligen Katharina, das Wappen der Königin. Wir durchschritten ein zweites Gemach, dann ein drittes, wobei wir zunehmend leiser auftraten, je näher der Audienzsaal der Königin rückte. Ich bemerkte Anzeichen einer Umgestaltung, helle frische Farben an den Wänden und stuckverzierten Decken, breite Wandteppiche, deren bunte Leuchtkraft fast das Auge blendete. Kräuter und Zweiglein lagen auf den Schilfmatten, die den Boden bedeckten, und eine himmlische Duftmischung erfüllte die Luft: Mandeln, Lavendel, Rosen. Im zweiten Raum flatterten und sangen in geräumigen Volieren Papageienvögel. In einem der Käfige hockte gar ein Affe. Er war im Begriff gewesen, die Gitterstäbe hinaufzuklettern, hatte jedoch innegehalten, um mich mit seinem faltigen Greisengesicht aus großen Augen zu mustern. Wir verharrten vor einer weiteren bewachten Tür, über der in einer Volute in goldenen Lettern der Leitspruch der Königin prangte:
Nützlich sein in allem, was ich tue
. Der Wachsoldat öffnete die Tür und trat endlich in den Audienzsaal.
    Dies war das äußere Heiligtum; die Privatgemächer der Königin lagen hinter einer weiteren Tür, vor der ebenfalls ein Hellebardier postiert war. Nach zwei Jahren Ehe genoss die neue Königin Catherine Parr nach wie vor des Königs Gunst; während er im vorigen Jahr mit seiner Armee nach Frankreich gezogen war, hatte er sie als Regentin eingesetzt. Doch in Anbetracht des Schicksals ihrer Vorgängerinnen musste ich unweigerlich daran denken, wie auf ein Wort hin all ihre Bewacher im Handumdrehen zu Kerkermeistern werden konnten.
    Die Wände des Audienzsaals waren neu bespannt worden: komplizierte Rankenmuster auf grünem Grund, dazu schmückten elegante Tischchen, Blumenvasen und Stühle mit hohen Rückenlehnen den Raum. Nur zwei Personen waren anwesend: eine Frau in einem schlichten, kornblumenblauen Kleid, das Haar ergraut unter der weißen Haube. Sie erhob sich halb und musterte mich bang, woraufhin ihr der große, hagere Mann in Anwaltsrobe an ihrer Seite sanft bedeutete, sie möge sitzen bleiben. Master Robert Warner, der Anwalt der Königin, dessen schmales Gesicht ein langer, grauer Bart zierte, kam zu mir herüber und ergriff meine Hand.
    »Bruder Shardlake. Danke, dass Ihr gekommen seid.« Als hätte ich mich weigern können. Doch auch ich freute mich, ihn zu sehen; Warner hatte mich stets mit ausgesuchter Höflichkeit behandelt.
    »Wie geht es Euch?«, fragte er.
    »Ganz passabel. Und Euch?«
    »Im Augenblick habe ich alle Hände voll zu tun.«
    »Und wie steht es um das Befinden der Königin?« Da fiel mir auf,

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