Der Piratenfuerst
etwas in geschwindem Französisch. Dann nahm er seinen Hut und erklärte: »Mein Erster Leutnant. Ich habe es mir anders überlegt, ich komme mit Ihnen.« Er hob die Schultern. »Ob aus purer Neugier oder um meine Voraussage bestätigt zu sehen – das weiß ich nicht. Aber ohne mich sind Sie ein toter Mann.«
Als sie aufs Achterdeck kamen, lag schon ein Boot längsseits, und auf den Decksgängen drängten sich stumme Zuschauer. Sollen sie es sich ruhig ansehen, dachte Bolitho grimmig: eine Fahrt ohne Rückkehr, wenn er sich verrechnet hatte.
Le Chaumareys faßte ihn beim Arm. »Hören Sie zu, denn ich bin älter und wohl etwas weiser als Sie. Ich kann Sie jetzt auf Ihr Schiff zurückbringen lassen. Es wäre keine Schande für Sie. In einem Jahr ist die ganze Geschichte vergessen. Überlassen Sie die Politik denen, die sich jeden Tag die Finger damit beschmutzen, ohne daß es ihnen etwas ausmacht.«
Bolitho schüttelte den Kopf. »Würden Sie das an meiner Stelle tun?« Er zwang sich ein Lächeln ab. »Ihr Gesicht sagt mir, was ich wissen wollte.«
Le Chaumareys nickte seinen Offizieren zu und schritt zum Fallreep. Auf dem Geschützdeck bemerkte Bolitho die frischen Reparaturstellen an Planken und Tauwerk: die Spuren jenes Gefechts mit der Undine, das er damals schon fast verlorengegeben hatte. Ein seltsames Gefühl, so neben dem Kapitän der Argus zu gehen. Sie waren mehr wie Landsleute als wie Gegner, die einander noch vor so kurzer Zeit hatten vernichten wollen. Aber wenn sie nach diesem Erlebnis noch einmal aneinandergerieten, dann gab es keinen Waffenstillstand mehr.
Stetig zog das Boot über das wirbelnde Wasser, mit Kurs auf die Pier unterhalb der Festung. Die ganze Zeit ließen die französischen Matrosen die Augen nicht von Bolitho. Aus Neugier – oder weil sie hier einem Feind ins Gesicht sehen konnten, ohne zu kämpfen?
Nur einmal während der kurzen Überfahrt sagte Le Chaumareys etwas: »Verlieren Sie Muljadi gegenüber nicht Ihre Selbstbeherrschung! Ein Wink von ihm, und Sie sind in Ketten. Mitleid kennt er nicht.«
»Und wie ist Ihre Situation?«
Der Franzose lächelte bitter. »Mich braucht er, m'sieur . «
Als sie an der Pier anlegten, sah er aufs neue den Haß, der ihm schon früher aufgefallen war. Inmitten einer Eskorte von Franzosen mußte er sich beeilen, die steile Schräge zur Festung hinaufzukommen, denn von allen Seite hörte er Flüche und wütendes Geschrei; kein Zweifel, ohne die massive Präsenz ihres Kapitäns wären sogar die französischen Matrosen tätlich angegriffen worden.
Zu ebener Erde war die Festung nicht viel mehr als eine leere Hülse. Im Hof lagen Binsen und Lumpen herum, die den immer zahlreicher werdenden Anhängern Muljadis als Schlaflager dienten. Oben auf der Brustwehr, unter dem blauen Himmel, sah man die Geschütze: alt, aber großkalibrig, und neben jedem ein Haufen Kugeln; lange Taue baumelten liederlich in den Hof hinunter, daneben standen primitive Körbe, vermutlich zum Hinaufziehen von Nachschub an Munition.
Roh behauene Stufen. Die Sonne brannte ihm auf die Schultern, doch als sie plötzlich in den Schatten traten, spürte er feuchte Kälte am ganzen Leib.
»Warten Sie hier drin«, knurrte Le Chaumareys. Er führte Bolitho in einen Raum mit steinernen Wänden, nicht größer als ein Kabelgatt, und schritt zu einer eisenbeschlagenen Tür am anderen Ende. Zwei schwerbewaffnete Eingeborene bewachten sie und glotzten die Franzosen an, als hofften sie auf einen Kampf. Aber Le Chaumareys drängte durch sie hindurch wie ein Dreidecker, der durch die Gefechtslinie bricht. Entweder fühlte er sich vollkommen sicher, oder es war lange geübter Bluff – Bolitho wußte es nicht.
Er brauchte nicht lange zu warten. Die Tür wurde aufgerissen, und er blickte in einen großen Raum, einen Saal, der anscheinend die ganze Breite des Obergeschosses einnahm. Am anderen Ende befand sich ein Podest, das sich farbig von den grauen Steinen der Mauern abhob.
Muljadi lehnte lässig in seidenen Kissen, die Augen starr auf die Tür gerichtet. Er war nackt bis zum Gürtel und trug nur eine weiße bauschige Hose zu Stiefeln aus rotem Leder. Sein Kopf war völlig haarlos und wirkte in dem Sonnenlicht, das durch die Fensterschlitze fiel, seltsam spitz; übergroß und grotesk stand das eine Ohr ab, das er noch hatte.
Neben dem Thron wartete Le Chaumareys, ernst und mit wachsamem Gesicht. An den Wänden standen mehrere Männer. Noch nie hatte Bolitho so dreckiges, brutales
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