Der Piratenfuerst
strich ihr das Haar aus der heißen Stirn.
Von Schluchzen geschüttelt, faßte sie seine Arme noch fester; es war ihr gleichgültig, daß die Zofe danebenstand und daß jeden Moment jemand in den Gang einbiegen konnte. »Keine Chance! Du hast nicht die geringste Chance!«
Bolitho hielt sie etwas von sich ab und wartete, bis sie ruhiger wurde. »Ich muß jetzt gehen. Und ich werde mich bestimmt vorsehen.« Er spürte, wie die Angst sie wieder überfiel, und fügte rasch hinzu: »Ich muß doch aufpassen, daß meine neue Uhr nicht Schaden nimmt, nicht wahr?«
Die Tränen liefen ihr übers Gesicht, doch sie ve rsuchte ein Lächeln. »Das würde ich dir auch nie verzeihen.«
Er wandte sich um und schritt zur Treppe, blieb aber noch einmal stehen, als sie seinen Namen rief. Doch sie kam ihm nicht nach, sondern winkte nur mit erhobener Hand, als sei er schon weit weg. Unerreichbar.
Unten wartete Allday bei der Gig. »Zurück an Bord!« befahl Bolitho kurz.
Allday blickte ihn neugierig an. »Die schaffen ja Pulverfässer auf den Schoner, Captain.«
»Soll das eine Frage sein?« Bolitho funkelte ihn wü tend an, aber Alldays Gesicht blieb unbewegt.
»Ich dachte nur... Mr. Davy wird darüber nicht sehr erfreut sein.«
Bolitho klopfte ihm auf den Arm. »Ich weiß. Und ich sollte meine schlechte Laune auch nicht an Ihnen auslassen.«
Allday warf einen raschen Blick auf die hölzernen Wände des Forts. In einem Fenster sah er eine weiße Gestalt. Leise sagte er: »Ich kenne das Gefühl, Captain.«
Unterwegs beobachtete Bolitho die neben dem Schoner liegenden Boote, auf denen fieberhaft gearbeitet wurde. Es hatte sich so einfach und glatt angehört: zwei auf beschränktem Raum vor Anker liegende Fregatten waren leichter zu entern als – Geschütz gegen Geschütz – auf offener See zu stellen. Aber nichtsdestoweniger würde noch mancher Mann der Undine sterbend seinen Kapitän verfluchen.
Die Gig gewann Fahrt, und er seufzte. Puigserver hatte schon recht gehabt: Seit ihrem ersten Zusammentreffen in Santa Cruz hatte er eine Menge dazugelernt. Besonders über sich selbst.
»Alle anwesend, Sir.« Herrick nahm neben der Kajütstür Platz und wartete, daß Bolitho die Besprechung eröffne.
Hinter den Heckfenstern war es schon sehr dunkel, aber man konnte noch die gelben Lichter erkennen, die zwischen Fort und Strand hin und her wanderten: Das Beladen des Schoners ging pausenlos weiter.
Bolitho blickte in die Gesichter seiner Männer. Alle waren hier, sogar Midshipman Keen, obwohl der Arzt noch keine Verantwortung für seine Gesundheit übernehmen wollte. Man sah Keen noch an, daß ihn jede Bewegung schmerzte, aber er hatte darauf bestanden, wieder Borddienst zu machen.
Dann Mudge und Soames. Und Fowlar, etwas verlegen, weil er zum erstenmal an einer Offiziersbesprechung teilnahm. Davy, in dessen hübschem Gesicht noch die Enttäuschung über das stand, was Bolitho anscheinend mit dem Schoner vorhatte. Hauptmann Bellairs mit seiner weltmännischen Bierruhe. Der Zahlmeister, trübselig wie immer. Armitage und Penn – wie ungleiche Brüder. Und schließlich, direkt unter dem Skylight, der Schiffsarzt Whitmarsh, dessen Gesicht wie eine mächtige rote Rübe glühte.
Bolitho faltete die Hände auf dem Rücken. Ein durchschnittliches Offizierskorps, dachte er, weder besser noch schlechter als andere; und doch mußte er jetzt mehr von ihnen fordern als von einer ganzen Kompanie altgedienter, kriegserfahrener Soldaten.
»Sie kennen mich lange genug«, begann er, »um zu wissen, daß ich Reden weder gern halte noch anhöre.« Herrick grinste, und Mudges Augen wurden zu beiden Seiten der mächtigen Nase noch kleiner. »Zu Beginn dieser Reise gab es viele an Bord, auch in der Offiziersme sse, denen meine Methoden zu hart, meine Anforderungen für einen friedensmäßigen Auftrag zu hoch vorkamen. Heute sehen wir die Dinge anders und wissen, daß unsere Erfahrung, unsere Ausbildung das einzige ist, was wir zu unserem Schutz einzusetzen haben und – noch wichtiger – zum Schütze derer, die von uns abhängen.« Er nickte Herrick zu. »Rollen Sie die Karte auf.«
Während Mudge sich vorbeugte, um die Räder der Karte mit Büchern und Messingzirkeln zu beschweren, musterte Bolitho noch einmal die Gesichter. Verrieten sie Angst oder Vertrauen? Das konnte man noch nicht wissen. Er fuhr fort: »Der Schoner wird in die Hauptdurchfahrt segeln und dabei bis zum letztmöglichen Moment die östliche Landspitze als Deckung benutzen.
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