Der Piratenfuerst
Sobald er direkten Kurs auf die Felsen am Fuß der Inselfestung hat –«, er unterbrach sich, um die Zirkelspitze auf das kleine Kreuz zu legen, »– wird das Ruder festgelascht, und die Mannschaft geht ins Boot. Wir werden sie später an Bord nehmen.« Er zwang sich zu einem Lächeln, obwohl ihm das Herz seltsam schwer war.
»Aber erst müssen wir die beiden Fregatten entern, nämlich ehe ihre Besatzungen sich von dem Schreck über die Explosion erholt haben.«
»Denen werden wir's zeigen, Sir!« rief Penn, sank aber unter Mudges vernichtendem Blick wieder zusammen.
Bolitho lächelte dem Midshipman in das feuerrote Gesicht.
»Und wir werden, von Mr. Penns Begeisterung beflügelt, in die Passage einlaufen, beiden Schiffen eine Breitseite verpassen, wenden und noch eine abfeuern.« Er blickte Davy bedeutsam an.
»Al so sagen Sie den Geschützbedienungen, daß sie auf Draht sein müssen. Die ersten beiden Breitseiten entscheiden alles.«
Bellairs meinte gedehnt: »Ziemliches Risiko für den Schoner, würde ich sagen, Sir. Bei so viel Schießpulver an Bord reicht eine einzige glühende Kugel, und hoch geht er.« Unter Bolithos starrem Blick fing er an zu blinzeln und fuhr fort: »Nichts gegen die Wagehälse auf dem Schoner – aber was wird dann aus uns?« Bolitho schüttelte den Kopf. »Die Batterie ist alt. Ich bin so gut wie sicher, daß sie keine Kugeln erhitzen werden, weil sie Angst haben, daß die Rohre platzen. Normalerweise brauchen sie auch gar keine heißen Kugeln. Bei diesem Schußfeld kann die Batterie jedes Schiff treffen, sobald es in einer der beiden Hauptpassagen ist.«
Er lächelte, um die plötzlichen Zweifel zu überspielen, die Bellairs Bemerkung in ihm erregt hatte. Angenommen, die Kugeln lagen bereits in den Essen und wurden erhitzt? Aber dann hätte er bestimmt etwas gesehen. Glühende Kugeln ließen sich nicht in Körben auf eine so hohe Brustwehr hieven. Er fuhr fort: »Und überhaupt wird bis dahin der größte Teil der Batterie auf dem Meeresgrund liegen, wo sie von Rechts wegen schon seit Jahren hingehört. Wir lichten morgen beim Hellwerden Anker. Der Wind scheint günstig zu stehen und wird uns bei einigem Glück gute Dienste leisten. Bleibt nur noch eine Frage zu klären...« Er zögerte, denn Herrick sah gespannt zu ihm herüber.
Aber er durfte in Herrick jetzt nicht seinen Freund sehen, den besten und treuesten, den er je besessen hatte. Er war sein Erster Leutnant, der tüchtigste Offizier an Bord. Anderes zählte nicht, durfte nicht zählen.
»Mr. Herrick befehligt den Schoner.«
Mit ausdruckslosem Gesicht nickte Herrick. »Aye, Sir. Ich nehme sechs gute Männer mit. Das müßte reichen.«
Bolitho sah ihm in die Augen, die Gesichter der anderen traten zurück. »Das überlasse ich Ihnen. Und wenn Potter mitkommen will, mag er's tun.« Whitmarsh sprang auf und wollte anscheinend protestieren, aber Bolitho ließ ihn nicht zu Wort kommen. »Er kennt die Durchfahrt. Wir brauchen jede Hilfe, die wir kriegen können.«
Die Tür öffnete sich etwas, Carwithen steckte den Kopf herein. »Verzeihung, Sir, aber die Wasserfässer sind verstaut, und Meldung ist gekommen, daß der Schoner voll beladen ist.«
»Schön.« Bolitho wartete, bis sich die Tür wieder schloß.
»Also machen Sie weiter, meine Herren. Sie haben alle viel zu tun.« Er zögerte – warum fielen einem niemals die richtigen Worte ein, wenn man sie am notwendigsten brauchte? »Uns bleibt wenig Zeit für Diskussionen, bis unser Auftrag erfüllt ist.« Oder wir alle tot sind. »Denken Sie immer daran: Unsere Leute sehen mehr denn je Vorbilder in Ihnen. Die meisten waren noch nie in einem richtigen Seegefecht; bei unserem Treffen mit der Argus glaubten viele, wir hätten eine Schlacht gewonnen, nicht einen geordneten Rückzug angetreten. Diesmal gibt es keinen Rückzug, weder für uns noch für den Feind. Le Chaumareys ist ein erstklassiger Kapitän, der beste vielleicht, den Frankreich je hervorgebracht hat. Aber er hat eine Schwäche.« Er hielt einen Moment inne, nachdenklich lächelnd.
»Eine Schwäche, die wir uns noch nicht leisten konnten: er setzt blindes Vertrauen in sein Schiff und in sich selbst. Dieses unbedingte Selbstvertrauen unseres Gegners, im Verein mit Ihrem Können und Ihrer Entschlossenheit, wird uns zum Sieg verhelfen.«
Sie standen auf, so stumm und ernst, als seien sie sich eben erst ihrer Verantwortung bewußt geworden. Und der Unausweichlichkeit ihrer Situation.
Als sie zur Tür
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