Der Piratenfuerst
und Schlagen der Taljen und Blöcke.
Würde jemand dem Schiff nachschauen? Aber wen interessierte das schon? Die Undine war nur ein Schiff mehr, das in den Kanal einlief, wie Hunderte vor ihr.
Ein schüchternes Klopfen an der Tür, und Noddall, der Kajütsteward, trat unsicheren Schrittes ins Helle: ein kleiner Mann, spitzgesichtig wie ein ängstliches Nagetier. Er hielt sogar ständig die Hände in Brusthöhe und erinnerte so noch mehr an ein schüchternes Eichhörnchen. »Ihr Abendessen, Sir – Sie haben es gar nicht angerührt.« Er begann abzuräumen. »Das ist nicht gut, Sir. Gar nicht gut.«
Er schlurfte in seine Pantry, und Bolitho blickte ihm lächelnd nach. Wie versunken der Mann in seine eigene kleine Welt war – er schien kaum bemerkt zu haben, daß das Schiff einen neuen Kapitän besaß.
Bolitho warf sich den neuen Mantel um die Schultern und verließ die Kajüte. Auf dem stockdunklen Achterdeck tastete er sich zur Heckreling und starrte zum Land hinüber: zahllose Lichter in unsichtbaren Häusern. Er drehte sich um und blickte zum Vorschiff; der Wind wehte ihm die Haare ins Gesicht, es war so kalt, daß er den Atem anhielt. Blaßgoldene Lichtreflexe glitten über das straffgespannte Tauwerk: im Vorschiff blinkte die kleine Laterne der Ankerwache.
Es war ein entschieden angenehmes Gefühl: sie brauchten hier keine Wachtposten an jedem Fallreep gegen heimtückische Überraschungsangriffe oder den Versuch einer Massendesertion. Auch keine Netze, um feindliche Enterer abzuhalten. Er legte die Hand auf einen der Achterdeck-Sechspfünder: kalt wie nasses Eis. Aber wie lange noch? Der Steuermannsmaat der Wache strich vorbei und machte einen Bogen, als er seinen Kapitän an der Reling stehen sah.
»Alles wohlauf, Sir«, meldete er.
»Danke.«
Bolitho wußte nicht, wie der Mann hieß, noch nicht. In den nächsten hundert Tagen würde er von seinen Leuten mehr als nur die Namen erfahren. Und umgekehrt sie von ihm.
Mit einem Seufzer ging er wieder in seine Kajüte. Die Wangen prickelten ihm vor Kälte. Noddall war nicht zu sehen, aber die Koje war bereit, und daneben stand ein Becher mit einem heißen Trunk. Eine Minute, nachdem er den Kopf aufs Kissen gelegt hatte, war er eingeschlafen.
Der nächste Tag stieg so grau auf wie der vorige; doch der Regen hatte in der Nacht aufgehört, und der Wind kam stetig aus Südost.
Der ganze Vormittag verging mit pausenloser Arbeit. Die Deckoffiziere kontrollierten immer wieder die Namenslisten, machten sich mit den Gesichtern vertraut und sorgten dafür, daß erfahrene Seeleute zwischen die unausgebildeten plaziert wurden. Bolitho diktierte seinem Schreiber, einem vertrockneten Mann namens Pope, den Abschlußbericht und unterschrieb, damit er mit dem letzten Boot noch an Land gelangte. Er fand Zeit, mit seinen Offizieren zu sprechen, den Stückmeister Mr. Tapril in seine r Pulverkammer aufzusuchen und mit ihm die Verlagerung gewisser Geschützteile und sonstigen Zubehörs ins Vorschiff zu besprechen, um die Trimmung des Schiffes zu verbessern, bis der entsprechende Gewichtsanteil an Proviant aufgebraucht und damit ein Ausgleich geschaffen war.
Er war gerade dabei, seinen Galaanzug mit der Seeuniform, einem alten Rock mit ausgebleichten Tressen und glanzlosen Knöpfen, zu vertauschen; da kam Herrick in die Kajüte und meldete, er habe fünfzehn neue Leute von den Gefängnishulken mitgebracht.
»Wie war es?«
»Die Hölle, Sir«, seufzte Herrick. »Ich hätte dreimal soviel bringen können, eine komplette Besatzung, wenn ich auch ihre Frauen und Kinder hätte mitnehmen wollen.«
Bolitho antwortete nicht gleich, weil er gerade mit dem Anlegen seiner Halsbinde beschäftigt war. »Frauen?« fragte er dann. »In den Gefängnishulken?«
»Aye, Sir.« Ein Schauder überlief Herrick. »Ich hoffe zu Gott, daß ich so etwas nie wieder zu sehen kriege.«
»Na schön. Lassen Sie sie die Musterrolle unterzeichnen, aber geben Sie ihnen vorläufig noch keine Arbeit. Die sind wahrscheinlich zu schlapp, um auch nur einen Belegnagel zu halten, nachdem sie so lange unter Deck wie Vieh zusammengepfercht waren.«
Ein Midshipman erschien in der offenen Tür. »Mr. Davy meldet mit allem Respekt, Sir, daß der Anker kurzstag ist.« Neugierig und aufmerksam ließ er die Augen in der Kajüte schweifen.
»Danke«, lächelte Bolitho. »Nächstesmal bleiben Sie ein bißchen länger und sehen sich hier richtig um.«
Der Junge verschwand, und Bolitho blickte Herrick an. »Na,
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