Der Piratenfuerst
ruhigem Ton zu sprechen, aber seine Hände zitterten heftig. »Es sind ein paar Männer im Wasser. Vermutlich über Bord gegangen, als die Masten runterkamen.«
Bolitho nahm das Glas. Ihm wurde kalt, als er sah, wie die Fregatte mitten durch die Schiffbrüchigen segelte und einige sogar überrannte. Wahrscheinlich sah der Kapitän nur die Undine und hatte die Unglücklichen überhaupt nicht bemerkt.
Er sprach lauter als sonst und hoffte nur, die anderen würden nicht gänzlich den Mut verlieren, weil seine Stimme so seltsam klang. »Wir ändern gleich den Kurs.« Den unausgesprochenen Protest in Mudges finsterem Gesicht ließ er unbeachtet. »Aber jetzt – Bramsegel weg, Mr. Herrick. Das erwartet der Franzose von uns, als Vorbereitung zum Kampf.« Und mit einem Blick auf Mudge: »Mit etwas weniger Tuch bleibt uns etwas mehr Platz, um ihm die Stirn zu bieten.«
»Das heißt also, wir segeln vor ihrem Bug vorbei, Sir«, erwiderte Mudge heiser. »Aber selbst wenn wir durch den Wind kommen, ohne daß es uns die Rahen abreißt – was dann? Dann überholt uns die Argus achtern und verpaßt uns dabei eine Breitseite ins Heck!«
Bolitho blickte ihm kühl ins Gesicht. »Ich rechne darauf, daß er unbedingt den Windvorteil behalten will, denn sonst werden die Rollen vertauscht.« Aber in Mudges winzigen Augen las er kein Begreifen. »Oder wollen Sie lieber, daß ich die Flagge streiche, he?«
Mudge wurde rot vor Wut. »Das war nicht fair, Sir!« Bolitho nickte. »Ein Seegefecht ist es auch nicht.«
Mudge wandte den Blick ab. »Ich werde mein Bestes tun, Sir.
Ich bringe sie so hart an den Wind wie noch nie.« Er tippte auf die Kompaßbussole. »Wenn der Wind hält, sollten wir fast genau West steuern können.« Er trat zum Ruder. »Mit Gottes Hilfe!«
Eben rutschten die Toppmatrosen wieder an Deck, und Bolitho spürte, wie die Undine unter Mars- und Vorsegeln ins Stampfen geriet. Mit einem raschen Blick stellte er fest, daß sein Gegner desgleichen tat. Der brauchte sich keine Sorgen zu machen; die Undine mußte sich zum Kampf stellen, sie hatte gar keinen Seeraum zur Flucht. Langsam schritt er auf und ab, trat, ohne hinzusehen, über die Zugleinen der Sechspfünder, streifte im Vorbeigehen den gebeugten Rücken eines Matrosen am Geschütz. Sicherlich beobachtete der Kapitän der Argus jede seiner Bewegungen. Seine Chance – wenn er überhaupt eine bekam – würde nur Sekunden, bestenfalls wenige Minuten dauern. Er blickte zur Landzunge hinüber. Sie wirkte jetzt sehr nahe, öffnete sich an Backbord wie ein riesiger Schlund, der das Schiff als Ganzes verschlingen wollte.
Dann trat er an die Achterdeckreling und rief: »Mr. Soames! Ich brauche eine Breitseite, sowie wir wenden! Die Chance, daß Sie ihn treffen, ist nur gering, aber die plötzliche Attacke wird ihn vielleicht verwirren.« Langsam glitten seine Blicke über die emporgewandten Gesichter auf dem Geschützdeck. »Das Nachladen und Ausrennen muß schneller gehen als je zuvor. Die Argus ist ein starkes Schiff und wird ihr schweres Kaliber voll einsetzen. Wir müssen nahe heran.« Sein Grinsen fühlte sich wie eingefroren an. »Zeigt ihnen, daß wir besser sind, ganz egal, unter welcher Flagge sie fahren!«
Ein paar Mann schrien hurra, aber es war kein beeindruckender Salut.
Gelassen sagte Herrick: »Klar zur Wende, Sir.«
Stille. Bolitho blickte noch einmal hinauf, der Wimpel stand wie vorhin. Wenn der Wind etwas rückdrehen wollte, wäre das eine kleine Hilfe. Aber ein Ausschießen wäre katastrophal. Eben stapfte Soames nach achtern und verschwand unter Deck. Er wollte die Heckzwölfpfünder inspizieren, die, sobald das Schiff auf dem neuen Bug lag, als erste den Gegner vor die Pforten bekommen würden. Davy stand am Fockmast und schickte einige Leute seiner Geschützbedienungen als Verstärkung der Backbordbatterie nach achtern. Wenn die Achtzehnpfünder der Argus erst Ernst machten, würden sie viele Ersatzleute brauchen, dachte Bolitho grimmig.
Er blickte Herrick an und lächelte. »Na, Thomas?«
Der zuckte die Schultern. »Ich sage Ihnen, was ich davon halte, wenn es vorbei ist, Sir.«
Bolitho nickte. Es war ein enervierendes Gefühl. Selbstverständlich war es das immer, doch leider jedesmal schlimmer als beim letztenmal. In einer Stunde, in Minuten, konnte er tot sein. Und dann würde sein Freund Thomas Herrick eine Schlacht ausfechten müssen, die er nicht gesucht hatte; oder vielleicht tödlich getroffen im Orlopdeck liegen und sich die
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