Der Piratenfuerst
Hut.
»Ausguck meldet, das Schiff ist die Bedford, Sir. Der Franzose muß sie für ein Kriegsschiff gehalten haben.« Da sah er Keens Wunde. »Mein Gott!« murmelte er heiser.
Die Finger des Verletzten krümmten sich wie gefangene Tiere unter dem starken Griff des Matrosen. Schwerfällig stand Bolitho auf. »Also gut, Allday, schaffen Sie ihn in meine Kajüte. Ich komme selbst, sobald ich hier fertig bin.«
Allday sah zu ihm hoch. »Machen Sie sich keine Vorwürfe, Captain. So was ist eben Glückssache. Wir kommen auch noch dran.« Er nickte den beiden Matrosen zu. »Nehmt ihn hoch!«
Keen stieß einen scharfen Schrei aus, als sie ihn zum Kajütniedergang trugen, und ehe er unter Deck verschwand, sah Bolitho noch, daß seine Augen in den Himmel über den zerfetzten Segeln starrten. Wollte er sich daran festhalten? Und durch dieses Bild am Leben selbst?
Bolitho bückte sich und nahm Keens Dolch von dem blutbesudelten Deck auf. Er gab ihn Davy und sagte: »Wir werden mit der Bedford Kontakt aufnehmen. Im Augenblick können wir nichts weiter tun, als zum Stützpunkt zurückzukehren.«
»Gerettet durch die alte Bedford!« sagte Herrick bitter. »Ein lausiges Transportschiff aus Madras, vollgestopft mit seekranken Soldaten und ihren Weibern!«
Sorgfältig brachte der Rudergänger die Undine auf Kurs zurück, wobei er geschickt den Kraftverlust ausglich, der durch die Löcher in den Segeln entstand.
»Wenn die Argus das gewußt hätte«, sagte Bolitho, »dann hätte sie uns alle beide fertiggemacht.« Er sah die Bestürzung in ihren Gesichtern und fügte kurz hinzu: »Aber dabei wäre sie selbst draufgegangen.« Er warf einen Blick nach oben, zum Wimpel am Masttopp, und dann auf seine Uhr. Das ganze Seegefecht hatte weniger als zwei Stunden gedauert, und schon war die Argus fast in dem Dunst verschwunden, der vor der Küste lag und das Nahen des Abends verkündete. Er beschattete die Augen und schaute nach der Bedford aus; wie kleine gelbe Muscheln standen ihre Bramsegel an der Kimm.
Dann blickte er sich um. Zersplitterte Planken; die Toten, die unter dem Luv-Decksgang aufgereiht worden waren. Es gab viel zu tun; er durfte die Zügel keine Minute lockerlassen, wenn die Mä nner ihren Kampfeswillen behalten sollten – sie würden ihn noch brauchen. Wieder brachten sie einen Toten von der Kampanje herbei. Er mußte sich mit den Schadensmeldungen befassen, die Ausfälle ersetzen, Reparaturen anordnen. Und die Bestattungen.
Aus dem Oberlicht der Kapitänskajüte drang ein scharfer Schrei – dort unten lag Keen, und Allday versuchte, den Splitter herauszuholen.
»Ich gehe nach unten, Mr. Herrick«, sagte er. »Befassen Sie sich mit den Schadens- und Verlustmeldungen!«
Bolitho eilte am Wachtposten vorbei und blieb dann stehen. Es war sehr still in der Kajüte. Keen lag still und nackt auf dem Fußboden. War es schon zu spät?
»Alles vorbei, Captain«, sagte Allday und hielt den blutigen Holzsplitter mit einer Pinzette hoch. »Für so einen jungen Bengel hat er sich tapfer gehalten.«
Bolitho blickte auf Keens aschgraues Gesicht hinunter. Seine Lippen waren blutig. Ein Matrose hatte ihm einen Lederriemen zwischen die Zähne gezwängt, damit er sich nicht die Zunge durchbiß. Noddall und der zweite Matrose legten ihm einen Verband an, und es roch stark nach Rum.
»Danke, Allday«, sagte Bolitho leise. »Ich wußte nicht, daß Sie auch davon etwas verstehen.«
Allday schüttelte den Kopf. »Hab's auch nur einmal gemacht, bei einem Schaf. Das arme Vieh war von einer Klippe auf einen jungen Baumstumpf gefallen. Kein großer Unterschied.«
Bolitho trat zum Heckfenster und füllte sich die Lungen mit frischer Luft. »Das müssen Sie Mr. Keen erzählen, wenn er wieder zu sich kommt.« Er wandte sich um und sah Allday ins Gesicht. »Wird er wieder ganz gesund?«
Allday nickte. »Ja. Einen Zoll weiter, dann wäre es aus gewesen.« Er sah, wie Bolitho zusammenzuckte, und rang sich ein Grinsen ab. »Jedenfalls was die Mädchen betrifft.«
Die Tür ging auf, und Herrick meldete: »Wir sind auf Signaldistanz mit der Bedford, Sir.«
»Ich komme an Deck.« Bolitho hielt inne und warf noch einen Blick auf Keen. Der Junge atmete schon leichter, das sah man deutlich. »Die Verluste?«
Herrick senkte den Kopf. »Zehn Tote, Sir, und zwanzig Verwundete. Ein Wunder, daß wir nicht mehr verloren haben.
Der Zimmermann und seine Leute sind schon unten, aber die meisten Löcher scheinen über der Wasserlinie zu liegen. Die Undine
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