Der Preis der Ungleichheit: Wie die Spaltung der Gesellschaft unsere Zukunft bedroht (German Edition)
stark voneinander, wenn Märkte die wichtigste Triebkraft sind? Unsere Hypothese lautet, dass Marktkräfte durchaus wirksam sind, aber nicht unabhängig von der Politik, sondern von dieser gestaltet werden. Gesetze, Regulierungen und Institutionen setzen Märkten einen Ordnungsrahmen. Jedes Gesetz, jede Regulierung, jede institutionelle Vereinbarung hat Verteilungskonsequenzen – und so, wie unsere Marktwirtschaft gestaltet ist, begünstigt sie die Begüterten und benachteiligt alle anderen.
In diesem Kapitel geht es um einen weiteren Faktor, der das Maß an gesellschaftlicher Ungleichheit bestimmt. Nicht nur der Staat nimmt auf die Marktkräfte Einfluss, auch gesellschaftliche Normen und Institutionen wirken auf den Markt ein. Tatsächlich ist die Politik häufig Ausdruck gesellschaftlicher Normen und verstärkt diese noch. In vielen Gesellschaften setzt sich die Unterschicht in überproportionalem Umfang aus Gruppen zusammen, die auf die eine oder andere Weise unter Diskriminierung leiden. Das Ausmaß dieser Diskriminierung hängt von gesellschaftlichen Normen ab. Wir werden sehen, wie der Wandel sozialer Normen – etwa hinsichtlich der Frage, was eine angemessene Vergütung ist – und Institutionen wie etwa Gewerkschaften sich auf die Einkommens- und Vermögensverteilung in den USA ausgewirkt hat. Diese sozialen Normen und Institutionen existieren wie die Märkte nicht in einem Vakuum: Auch sie werden zum Teil vom obersten einen Prozent geprägt.
Globalisierung
Ein Aspekt der Theorie über die »Marktkräfte« steht mittlerweile seit über zehn Jahren im Zentrum der Aufmerksamkeit: die Globalisierung, also die engere Verflechtung der Volkswirtschaften auf der Welt. Nirgendwo beeinflusst die Politik die Marktkräfte stärker als auf diesem Feld. Nicht nur die Senkung der Transport- und Kommunikationskosten hat die Globalisierung vorangetrieben, genauso wichtig waren Veränderungen der Spielregeln, etwa durch den Abbau von Hindernissen für den freien, grenzüberschreitenden Kapitalverkehr und von Handelsschranken (zum Beispiel die Senkung von Einfuhrzöllen auf chinesische Güter, so dass diese unter fast gleichen Bedingungen mit amerikanischen Gütern konkurrieren können). Sowohl die Handelsglobalisierung (der Waren- und Dienstleistungsverkehr) als auch die Globalisierung der Kapitalmärkte (die internationale Finanzmarktverflechtung) haben zu der wachsenden Ungleichheit beigetragen, wenn auch in unterschiedlicher Weise.
Das Gesamtbild
In diesem Kapitel und in Kapitel 2 konnten wir sehen, wie die Spielregeln dazu beigetragen haben, die Menschen an der Spitze der Einkommenspyramide noch reicher zu machen und die Not der Armen zu vergrößern. Der Staat trägt auf zweifache Weise zu unserem gegenwärtigen Maß an Ungleichheit bei: Er ist für die ungleiche Einkommensverteilung vor Steuern mitverantwortlich und er unternimmt immer weniger, um diese Ungleichheit durch progressive Besteuerung und ausgabenpolitische Maßnahmen zu korrigieren.
In dem Maße, wie die Reichen reicher werden, haben sie mehr zu verlieren, wenn der Staat Rent-Seeking einschränkt und Einkommen umverteilt, um die Wirtschaft gerechter zu ordnen, und sie haben mehr Ressourcen, um sich gegen solche Versuche zur Wehr zu setzen. Es mag seltsam erscheinen, dass wir in Anbetracht wachsender Ungleichheit weniger unternommen haben, um die negativen Folgen aufzufangen, doch genau das stand zu erwarten. Es ist überall auf der Welt das Gleiche: Egalitär ausgerichtete Gesellschaften bemühen sich darum, ihren sozialen Zusammenhalt aufrechtzuerhalten; in Gesellschaften mit Verteilungsdisparitäten tendieren Regierung und Behörden dazu, das Fortbestehen der Ungleichheit zu fördern. Dieses Muster lässt sich immer wieder nachweisen. 75
Ist Ungleichheit notwendig, um Menschen Anreize zu geben?
Die Verteidiger des Status quo bringen oftmals noch ein anderes Argument vor: Das gegenwärtige hohe Maß an Ungleichheit sei notwendig, damit die Menschen Anreize haben, sich beruflich anzustrengen, zu sparen und zu investieren. Hier werden zwei Standpunkte durcheinandergebracht. Der eine lautet, dass es keine Ungleichheit geben sollte, der andere, dass wir besser dastehen würden, wenn die Schere nicht so weit geöffnet wäre, wie sie es heute ist. Ich und, soweit ich weiß, die meisten derer, die progressiven politischen Ideen anhängen, plädieren nicht für vollständige Gleichheit. Wir erkennen durchaus, dass Anreize dadurch geschwächt würden.
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