Der Preis der Ungleichheit: Wie die Spaltung der Gesellschaft unsere Zukunft bedroht (German Edition)

und Nachfrage funktionieren, beeinflusst. Doch es ist noch etwas anderes am Werk, und dieses andere ist der Staat. Eine zentrale These dieses Buches lautet, dass Ungleichheit ebenso sehr politischen wie ökonomischen Kräften geschuldet ist. In einer modernen Volkswirtschaft legt die Regierung die Spielregeln fest und setzt sie durch. Sie bestimmt, was lauteren Wettbewerb ausmacht, welche Handlungen als wettbewerbs-und rechtswidrig angesehen werden, wer im Fall einer Insolvenz, wenn ein Schuldner seine Verbindlichkeiten nicht mehr bedienen kann, welche Ansprüche hat, welche Praktiken als betrügerisch gelten und daher verboten sind. Der Staat verteilt außerdem Ressourcen (sowohl offen als auch weniger transparent) und verändert, durch Steuern und Sozialausgaben, die Einkommensverteilung, die der Markt hervorbringt, der seinerseits durch Technologie und Politik bestimmt wird.
    Und schließlich verändert der Staat die Dynamik der Vermögensverteilung, indem er etwa Erbschaften besteuert und Bildung kostenlos anbietet. Ungleichheit bemisst sich nicht nur danach, wie viel der Markt einem Facharbeiter im Vergleich zu einem ungelernten Arbeiter bezahlt,
sondern auch nach dem Grad der Qualifikation, die jemand erworben hat. Ohne staatliche Unterstützung könnten sich viele Kinder der Armen keine medizinische Grundversorgung und keine ausreichende Ernährung leisten, ganz zu schweigen von der Bildung, die erforderlich ist, um die notwendigen Kompetenzen für Produktivitätssteigerungen und höhere Löhne zu erwerben. Der Staat kann beeinflussen, in welchem Ausmaß die Bildung und das ererbte Vermögen einer Person von der Bildung und dem Vermögen der Eltern abhängig sind. Ökonomen sprechen hier davon, dass die Ungleichheit davon abhängt, wie die »Ausstattungen« ( endowments ) mit Finanz- und Humankapital verteilt sind.
    Die Art und Weise, wie die US-Regierung diese Funktionen wahrnimmt, bestimmt den Grad an Ungleichheit in unserer Gesellschaft. In all diesen Bereichen begünstigen ausgetüftelte Entscheidungen die eine Gruppe auf Kosten der anderen. Die Folgen der einzelnen Entscheidungen mögen für sich genommen geringfügig sein, aber die Gesamtwirkung einer großen Zahl von Entscheidungen, die zugunsten der Reichen gefällt werden, kann beträchtlich sein.
    Die Kräfte des Wettbewerbs sollten eigentlich überzogenen Gewinnen einen Riegel vorschieben, aber wenn Regierungen nicht dafür sorgen, dass der Wettbewerb auf den Märkten funktioniert, können hohe Monopolgewinne entstehen. Die Kräfte des Wettbewerbs sollten eigentlich auch der unverhältnismäßig hohen Vergütung von Führungskräften Grenzen setzen, doch in modernen Aktiengesellschaften besitzt der Vorstandschef (CEO) zum einen sehr weitreichende Befugnisse – einschließlich derer, seine Bezüge selbst festzusetzen (um sie sich dann vom Aufsichtsrat absegnen zu lassen) – und nimmt zum anderen häufig Einfluss auf die Zusammensetzung des Aufsichtsrats. Ein willfähriger Aufsichtsrat aber wird den CEO kaum kontrollieren, und die Mitspracherechte der Aktionäre sind minimal. In einigen Ländern ist die verantwortungsvolle, wertorientierte Unternehmensführung und -kontrolle (Corporate Governance) gesetzlich so geregelt, dass die Macht des Vorstandschefs zum Beispiel dadurch beschränkt wird, dass das Aufsichtsgremium aus unabhängigen Mitgliedern bestehen muss oder die Aktionäre bei der Frage der Vergütung ein Mitspracherecht haben müssen. Wenn ein Land keine sachgerechten Corporate Governance-Gesetze hat, die konsequent durchgesetzt werden, können sich die CEOs überhöhte Boni selber bewilligen.
    Mit progressiver Besteuerung (die den Reichen einen höheren Anteil abverlangt als den Armen) und einer Ausgabenpolitik, die für leistungsfähige Systeme der sozialen Absicherung sorgt, lässt sich der Grad an Ungleichheit begrenzen. Werden die Ressourcen eines Landes hingegen an die Reichen und Gutvernetzten verschenkt, mag dies die Ungleichheit verschärfen. Unser politisches System arbeitet in zunehmendem Maße in einer Weise, welche die Schere bei den Ergebnissen weiter öffnet und die Chancengleichheit weiter einschränkt. Dies sollte uns nicht überraschen: Wir haben ein politisches System, das den Menschen an der Spitze der Einkommenspyramide übermäßig viel Macht einräumt, und diese haben ihre Macht dazu genutzt, nicht nur die Umverteilung einzuschränken, sondern auch die Spielregeln zu ihren Gunsten zu beeinflussen und der