Der Preis der Ungleichheit: Wie die Spaltung der Gesellschaft unsere Zukunft bedroht (German Edition)
unser politisches System dabei versagte, so wie es ihm auch nicht gelungen war, die Krise zu verhüten, die wachsende Ungleichheit einzudämmen, die Unterprivilegierten zu schützen, das unlautere Geschäftsgebaren der Großunternehmen zu verhindern. Erst jetzt gingen die Menschen auf die Straße.
Amerikaner, Europäer und Bürger anderer demokratischer Staaten sind sehr stolz auf ihre demokratischen Institutionen. Aber die Demonstranten zweifeln daran, dass in ihren Ländern tatsächlich demokratische Verhältnisse herrschen. Wahre Demokratie umfasst mehr als das Recht, alle paar Jahre zur Wahl zu gehen. Die Alternativen müssen echte Alternativen sein. Die Politiker müssen auf ihre Bürger hören. Aber in zunehmendem Maße und insbesondere in den Vereinigten Staaten scheint das politische System immer mehr auf das Prinzip »ein Dollar, eine Stimme« als auf den Gurndsatz »eine Person, eine Stimme« hinauszulaufen. Statt das Marktversagen zu korrigieren, verstärkte das politische System dieses noch.
Politiker beklagen in ihren Reden den Niedergang unserer Werte und unserer Gesellschaft und berufen dann Vorstandschefs und andere Topmanager in hohe Regierungsämter, die zu der Zeit, als das System so kläglich versagte, im Finanzsektor das Heft in der Hand hielten. Wir hätten nicht erwarten dürfen, dass die Architekten des Systems, das nicht funktioniert hatte, das System so umbauen würden, dass es den Interessen der Allgemeinheit dient. Sie taten es auch nicht. Das Versagen von Politik und Wirtschaft geht Hand in Hand, und das eine verschlimmert
das andere. Ein politisches System, das den Stimmen der Reichen mehr Gewicht verschafft, bietet hinreichend Gelegenheiten, Gesetze und sonstige Rechtsvorschriften – und ihre Umsetzung – so zu gestalten, dass sie den Durchschnittsbürger nicht nur nicht vor der Macht der Begüterten schützen, sondern auch die Reichen auf Kosten der übrigen Gesellschaft weiter bereichern.
Damit komme ich zu einer der zentralen Thesen dieses Buches: Auch wenn grundlegende ökonomische Kräfte im Spiel sein mögen – die Politik hat den Markt so gestaltet, dass die Reichen auf Kosten der Übrigen begünstigt werden. Jedes Wirtschaftssystem braucht Regeln und Vorschriften; es muss innerhalb eines rechtlichen Ordnungsrahmens arbeiten. Derartige Rahmen gibt es viele, und jeder hat Folgen für die Einkommens- und Vermögensverteilung sowie für Wachstum, Effizienz und Stabilität. Die Wirtschaftselite hat auf ein Regelwerk gedrängt, von dem sie auf Kosten der Übrigen profitiert, aber dieses Wirtschaftssystem ist weder effizient noch gerecht. Wir werden sehen, wie sich unsere Ungleichheit in jeder wichtigen Entscheidung widerspiegelt, die wir als Nation treffen – von unserem Staatshaushalt bis zu unserer Geldpolitik, ja sogar bis zu unserem Justizsystem –, und ich zeige auch, wie diese Entscheidungen selbst dazu beitragen, die Ungleichheit aufrechtzuerhalten und zu verschärfen. 13 In einem politischen System, das so empfänglich für die Wünsche der Finanzwelt ist, führt wachsende ökonomische Ungleichheit zu einem zunehmenden politischen Machtgefälle, einer unheilvollen Verschränkung zwischen Politik und Wirtschaft. Und beide zusammen prägen gesellschaftliche Kräfte wie Sitten und Institutionen – und werden ihrerseits von diesen geprägt –, die ihren Teil dazu beisteuern, diese Ungleichheit noch voranzutreiben.
Was die Demonstranten fordern und was sie bewirken
Die Demonstranten haben vielleicht besser als die meisten Politiker begriffen, was vor sich ging. Auf einer Ebene fordern sie sehr wenig: eine Chance, ihre Fähigkeiten einzusetzen, das Recht auf anständige Arbeit zu einem angemessenen Lohn, eine gerechtere Wirtschaft und eine Gesellschaft, die sie mit Würde behandelt. In Europa und den Vereinigten
Staaten geht es ihnen nicht um revolutionäre, sondern um evolutionäre Veränderungen. Doch auf einer anderen Ebene fordern sie sehr viel: eine Demokratie, in der es auf die Menschen, nicht auf das Geld ankommt, und eine Marktwirtschaft, die hält, was sie verspricht. Die beiden Forderungen hängen zusammen: Wie wir gesehen haben, funktionieren zügellose Märkte nicht reibungslos. Damit Märkte so funktionieren, wie sie es sollten, bedarf es einer angemessenen staatlichen Regulierung. Doch dazu brauchen wir eine Demokratie, die dem Gemeinwohl verpflichtet ist – nicht Sonderinteressen oder nur den Interessen der Oberschicht.
Man hat den Demonstranten
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