Der Preis der Ungleichheit: Wie die Spaltung der Gesellschaft unsere Zukunft bedroht (German Edition)
gesteuert wird, auf die die Denkweise der Banker abgefärbt hat, und die de facto allein dem Interesse des obersten einen Prozents verpflichtet ist.
KAPITEL 10
Eine andere Gesellschaft ist möglich
Es nützt nichts, sich etwas vorzumachen. Trotz der sich hartnäckig haltenden Überzeugung, Amerikaner hätten bessere soziale Aufstiegschancen als Europäer, sind die USA nicht länger das Land der unbegrenzten Möglichkeiten.
Nichts veranschaulicht die Veränderungen besser als die missliche Lage derjenigen, die heute um die zwanzig sind. Statt ein neues Leben voller Zukunftsoptimismus zu beginnen, finden sich viele von ihnen in einer Welt der Existenzsorgen und Ängste wieder. Belastet mit Studentendarlehensschulden, deren Rückzahlung ihnen vermutlich schwerfallen wird und die ihnen auch im Fall einer Privatinsolvenz nicht einmal teilweise erlassen würden, suchen sie auf einem flauen Arbeitsmarkt nach guten Stellen. Aber selbst wenn sie das Glück haben, eine Stelle zu ergattern, ist der Lohn oftmals so enttäuschend gering, dass sie weiterhin bei ihren Eltern wohnen müssen. 1
Eltern jenseits der fünfzig machen sich Sorgen um ihre Kinder – aber auch um ihre eigene Zukunft. Werden sie ihr Haus verlieren? Werden sie vorzeitig in Rente gehen müssen? Werden ihre Ersparnisse, die von der Großen Rezession zu einem Gutteil aufgezehrt wurden, bis an ihr Lebensende reichen? Sie wissen, dass sie in einer existenziellen Notlage vielleicht ihre Kinder nicht um Hilfe bitten können. Aus Washington kommen noch schlechtere Nachrichten: Kürzungen bei Medicare, in deren Folge sich einige Gruppen keine medizinische Versorgung mehr leisten könnten, werden weithin diskutiert. Auch bei der staatlichen Rentenversicherung scheinen Kürzungen anzustehen. Der Traum von einem behaglichen Lebensabend scheint sich für viele Amerikaner in Luft aufzulösen. Und die Träume von einem Leben in Wohlstand für ihre Kinder mögen so antiquiert sein wie manche Szene aus einem Kinofilm der fünfziger Jahre.
In vielen anderen Ländern hat sich Ähnliches ereignet wie in den USA. Dennoch sind diese Entwicklungen nicht unvermeidlich. Hier waltet nicht das unerbittliche Räderwerk der Marktwirtschaft. Einige Gesellschaften haben die Veränderungen weitaus besser bewältigt, selbst in einer Welt, in der die Marktkräfte und das vorherrschende wirtschaftspolitische Paradigma ein erhebliches Einkommens- und Vermögensgefälle hervorbringen. Der durchschnittliche Lebensstandard ist in diesen Gesellschaften höher als in den USA, nicht nur an der Einkommenshöhe, sondern auch an der medizinischen Versorgung, der Qualität des Bildungswesens, der öffentlichen Sicherheit und vielen anderen Aspekten gemessen, die die Lebensqualität maßgeblich beeinflussen. Und manche Gesellschaften, in denen die Ungleichheit viel krasser war als in den Vereinigten Staaten, haben in den Abgrund geblickt, gesehen, was ihnen bevorstehen könnte, und sind dann zurückgewichen: Es ist ihnen gelungen, die Kluft zwischen oben und unten zu verringern, den Armen zu helfen und für eine gerechtere Verteilung der Bildungschancen zu sorgen.
Eine andere Welt ist möglich. Wir können eine Gesellschaft verwirklichen, die eher in Einklang mit unseren Grundwerten steht, mehr Chancengerechtigkeit bietet, wirtschaftlich leistungsfähiger ist, demokratischere Strukturen schafft und den Lebensstandard der meisten Bürger deutlich anhebt. Das wird nicht leicht sein. Einige Marktkräfte ziehen in eine andere Richtung. Aber diese Marktkräfte werden von der Politik gestaltet, von den Regeln und den Rechtsvorschriften, die wir uns als Gesellschaft geben, und von dem Vorgehen unserer Institutionen (wie der Federal Reserve, unserer Zentralbank, und anderen Regulierungsbehörden). Wir haben eine Wirtschaft und eine Gesellschaft hervorgebracht, in denen durch das Streben nach Rent-Seeking, nach Einkommen, das nicht an Leistung geknüpft ist, große Vermögen angehäuft werden. Dies geschieht manchmal durch direkte Transfers von der Allgemeinheit zu den Reichen, häufiger durch Regeln, die es den Vermögenden erlauben, durch Monopolmacht und andere Formen der Ausbeutung »Renten« vom Rest der Gesellschaft abzuschöpfen.
In diesem Buch geht es nicht um eine Politik des Neides: Die unteren 99 Prozent sind, im Großen und Ganzen, nicht neidisch auf die gesellschaftlichen Beiträge, die einige der Superreichen geleistet haben, auf deren wohlverdientes Einkommen. Vielmehr geht es hier um eine
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