Der Preis der Ungleichheit: Wie die Spaltung der Gesellschaft unsere Zukunft bedroht (German Edition)
Kapitalausstattung von Banken verbunden ist – bei denen mitunter schon geringfügige Änderungen im Wert ihrer Aktiva zum Zusammenbruch führen –, hätte die Höhe von Boni und Dividenden bis zur vollständigen Erholung des Bankensektors streng reguliert werden sollen. Schließlich hätte die Notenbank, die genau wusste, dass mangelnde Transparenz und Finanzderivate maßgeblichen Anteil an der Krise hatten, auf entschiedene Korrekturen in beiden Bereichen drängen müssen.
Aber von all dem wurde nur wenig umgesetzt, und das, was getan wurde, kam oftmals gegen den Widerstand der Notenbank zustande. Das neue Gesetz zur Finanzmarktregulierung (Dodd-Frank Act), das im Juli 2010 in Kraft trat, übertrug der US-Notenbank einen Großteil der Kompetenzen für die Umsetzung der Vorschriften, und diese zeigte, zumindest auf einigen Gebieten, wem ihre Loyalität galt. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: In der Aussprache vor der Verabschiedung des Gesetzes hatte der für die Derivate-Aufsicht zuständige Senatsausschuss empfohlen, durch Staatsbürgschaften abgesicherten Banken den Verkauf von Derivaten zu verbieten. Auch wenn nicht klar war, ob Derivate Versicherungsprodukte oder Glücksspiel-Instrumente waren, stand doch fest, dass sie keine Kredite waren. Wenn es sich um Versicherungsprodukte handelte, sollten sie von den einzelstaatlichen Versicherungsaufsehern reguliert werden; wenn es Glücksspielprodukte waren, sollten sie von den einzelstaatlichen Aufsichtsbehörden für die Glücksspielbranche reguliert werden; unter keinen Umständen aber sollten sie von der US-Regierung – durch die US-Bundeseinlagenversicherung – garantiert werden. Aber Notenbank-Chef Ben Bernanke war anderer Auffassung (gegen den Widerstand zweier regionaler Notenbank-Vorsitzender, die der altmodischen Vorstellung anzuhängen schienen, Banken sollten sich aufs Bankgeschäft beschränken). Bernanke und die Großbanken, die
jedes Jahr Milliarden mit sogenannten Kreditausfallversicherungen (Credit Default Swaps) verdienten, setzten sich durch.
Unterdessen bildete sich unter Wirtschaftswissenschaftlern und staatlichen Entscheidungsträgern (darunter auch mindestens einem Mitglied des US-Zentralbankvorstands sowie dem Präsidenten der Bank von England, Mervyn King) ein breiter Konsens heraus, dass den »systemrelevanten« Banken Zügel angelegt werden müssten. King meinte, wenn sie zu groß seien, um sie pleitegehen zu lassen, dann seien sie auch zu groß, um zu existieren. Schon früher hatte Paul Volcker, der ehemalige Vorsitzende der US-Notenbank, angemerkt, dass diese Banken aufgrund ihrer Größe auch nicht mehr vernünftig gesteuert werden könnten. Aber der gegenwärtige Notenbank-Chef und dessen Vorgänger (Bernanke und Greenspan, die mitverantwortlich für die Krise waren) schienen das Problem nicht einmal zu erkennen oder jedenfalls nicht für so wichtig zu erachten, dass sie Maßnahmen zur Abhilfe vorgeschlagen hätten. Und man hätte eine ganze Menge tun können: angefangen von regulatorischen Beschränkungen, was die Größe und Aktivitäten der Banken angeht, bis hin zu Steuern, um die oben beschriebenen Vorteile auszugleichen.
Die Notenbank hat selbstverständlich nie beabsichtigt, die Ungleichheit zu verschärfen – weder durch die Vergünstigungen, die sie denen an der Spitze der Verteilungspyramide erwies, noch durch die Folgen ihrer Politik für jene, die in der Mitte und am Fuß dieser Pyramide angesiedelt sind. Wie wir später erläutern werden, waren vermutlich die meisten Mitglieder des Zentralbankvorstands voll und ganz davon überzeugt, dass ihre Politik – laxe Regulierung, Inflationsbekämpfung, Unterstützung der Banken, die so wichtig sind, um die Wirtschaft am Laufen zu halten – ein Wachstum fördere, von dem alle profitieren würden. Aber dies belegt nur, in welchem Maße die Notenbanker durch die Sichtweisen und Weltanschauungen der Banker voreingenommen waren.
Eine Zentralbank im Dienst der Gesellschaft 24
Nach herrschender ökonomischer Meinung sollten Zentralbanken unabhängig sein, denn anderenfalls, so wird argumentiert, würden Politiker die Geldpolitik zu ihrem kurzfristigen Vorteil nutzen, der mit langfristigen
Kosten verbunden wäre: Vor Wahlen würden sie die Konjunktur übermäßig ankurbeln, und der Preis dafür – höhere Inflation – würde nach den Wahlen fällig. Bei einer unabhängigen Zentralbank, die eine möglichst niedrige Inflation anstrebt, würden sich die Märkte
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