Der Prinz der Rache: Roman (German Edition)
Verteidigung der Stadt bildete. Der junge Mann richtete sich auf, griff unter seinen Umhang und wickelte ein langes Seil von der Schulter. Mit einem kaum hörbaren metallischen Klicken entfaltete er die drei Arme eines Wurfankers, nahm ihn zur Hand, betrachtete ihn und murmelte eine leise Beschwörungsformel. Ein Schatten löste sich von seiner Hand, kroch über das Seil und legte sich schließlich über den Anker.
Der Dunkle nickte zufrieden, schätzte die Entfernung ab, schwang das Seil und ließ den Anker fliegen. Der Wurfanker verschwand in der Finsternis, und nur ein gedämpftes Klopfen verriet, dass er zu kurz ging. Der Schwarzgekleidete fluchte leise und rollte das Seil wieder auf. Er versuchte sein Glück erneut, und diesmal fand er sein Ziel. Er zog am Seil, und es straffte sich. Noch einmal spähte er die menschenleeren Straßen entlang, dann sprang er am Seil hinüber zur Mauer und kletterte schnell hinauf. Oben hielt er kurz inne und sah sich um, aber es war keine Wache zu sehen. Er rollte das Seil wieder auf, klappte den Wurfanker zusammen und verstaute ihn wieder in dem breiten Gürtel, den er unter dem Umhang trug. Ein kurzer Schauer ging nieder, und der Mond verschwand abermals hinter schnell ziehenden Wolken, aber der Mann schien seinen Weg auch im Dunkeln zu kennen. Er lief über den Wehrgang, bis dieser an der Mauer eines vielstöckigen Gebäudes endete. Dann kletterte er über die groben Steinquader der Hausecke hinauf bis zum Dach. Es gab keine Regenrinne, und er brauchte eine Weile, bis er einen Punkt fand, der ihm sicher genug schien, um sich daran hinaufzuziehen. Er duckte sich und sah sich vorsichtig um. Am anderen Ende des Daches entdeckte er das, was einst der höchste Turm, der Bergfried, gewesen war. Doch die Platznot in der Burg hatte die Häuser immer weiter in die Höhe wachsen und näher rücken lassen, so dass er inzwischen nur noch wie ein leicht erhöhter Dachgarten herausragte. Es war keine Wache zu sehen. Der Fremde spähte dennoch lange hinüber, weil er etwas Ungewöhnliches entdeckt hatte. Er wartete, bis der Mond wieder hervorkam und enthüllte, dass es sich bei den plumpen Schatten nicht etwa doch um Wachen, sondern um große Tontöpfe handelte, wie sie manchmal für Zierpflanzen verwendet wurden, nur dass sie keine Pflanzen enthielten. Das ließ ihn zögern. Schließlich tastete er sich aber doch vorsichtig über die moosbewachsenen Schindeln voran. Die alten Schieferziegel knirschten unter seinen Schritten. Der Fremde zögerte wieder, murmelte einige leise Worte, und ein schützender Schatten umhüllte seine Gestalt. Erst dann setzte er seinen Weg fort.
Rund um den Bergfried wurde das Moos plötzlich weniger, und der Schatten hielt inne. Er war nur noch drei Schritte von den Zinnen des alten Turms entfernt, und immer noch blieb alles still. Dann trat er auf den Draht. Eine Explosion zerriss die Dunkelheit mit einem dumpfen Knall und einem violetten Blitz. Dem Fremden blieb nicht einmal Zeit, sich zu ducken. Die Druckwelle traf ihn und schleuderte ihn über das Dach und auf den Abgrund zu. Er rollte über die Schindeln, suchte verzweifelt nach Halt und stürzte dann über die Traufe. Irgendwie schaffte er es noch, sich am äußersten Rand einer Schieferschindel festzukrallen. Er keuchte eine Beschwörungsformel hervor. Der Schiefer war alt: Er brach unter dem Gewicht, und der Fremde stürzte viele Klafter tief hinab in die Dunkelheit und in den wild schäumenden Gebirgsbach, der unterhalb der Burg entlangtoste.
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