Der transparente Mann (German Edition)
Eins
Ein schnittiger Porsche, so blank poliert, dass er in der Morgensonne glänzte, schoss auf den einzigen Parkplatz weit und breit zu, den Joe längst anvisiert hatte.
»Vergiss es!« Spontan drückte Joe das Gaspedal ihres alten Kastenwagens durch, den auch eine weitere Beule nicht verunstalten konnte. Ein paar Sekunden lang schien es, als wollte der junge Typ im Luxusschlitten dagegenhalten, bevor er wenige Zentimeter vor ihrem Kotflügel abrupt bremste.
Na bitte. Männer lieben eben ihre Autos. Joe schmunzelte, kurbelte das Seitenfenster hinunter und streckte den Kopf hinaus. »Notfall!«, rief sie geschäftig. Sie mochte solch spielerische Manöver. Zum Trost schenkte Joe ihm ihr schönstes Strahlen und deutete entschuldigend auf den Schriftzug ihres Autos: Firma Benk – Meisterbetrieb für Sanitär und Heizung. Darunter stand die gebührenfreie Nummer für den Vierundzwanzig-Stunden-Notservice. Der überraschte Blick, mit dem der Porschefahrer wieder weiterfuhr, amüsierte Joe. Lange blonde Haare widersprachen offensichtlich seinem Bild von einem Klempner. Erleichtert dachte Joe, dass ihr Notfall-Telefon bald nie mehr nachts klingeln würde, weil wieder irgendein Schlaumeier mit heißem Fett oder Kerzenwachs die Abwasserleitung verstopft hatte. Nicht, dass sie sexistische Vorurteile hätte! Es war vielmehr die Erfahrung, die Joe gelehrt hatte, dass die Idee, einen Kerzenständer im heißen Wasserbad zu säubern und das flüssige Wachs mittels Wasserspülung zu entsorgen, meist einem männlichen Gehirn entsprang, das sich auch mal häuslich betätigen wollte.
Nachdem sie eingeparkt hatte, schritt Joe in dem berauschenden Gefühl, endlich ein neues Leben zu beginnen, die breiten Stufen zum imposanten Portal der Universität hoch und reihte sich in die Schlange der Wartenden vor dem Immatrikulationsbüro ein. Dabei fiel ihr Blick auf ein Plakat, das für heute den Gastvortrag eines Galeristen ankündigte. Nicht, dass Joe sich brennend für Kunst interessierte. Vielmehr war es das Lächeln dieses Mannes, das sie magisch anzog. Sie starrte auf sein klassisch schönes Gesicht in Schwarz-Weiß. Schlagartig wurde ihr bewusst, dass sie seit Monaten Männer nur im Arbeitsoverall erlebt hatte, seit fast zwei Jahren keinen Freund mehr hatte und ihr Bett nur mit ihrem alten Stoffhasen, einem Relikt aus Kinderzeiten, teilte.
»Der Nächste bitte!« Die weibliche Stimme war kühl und unpersönlich und riss Joe aus ihren Überlegungen.
Sie betrat das Büro und zog leise die Tür hinter sich zu.
Als sie nach wenigen Minuten von den Uni-Mitarbeitern wieder entlassen wurde, schien es ihr, als würde sie den Zugang zu ihrem alten Leben verschließen und den zu einem neuen öffnen. Jetzt war sie nicht mehr die kleine Klempnerin in der Firma ihres Vaters, sondern eine ganz offiziell immatrikulierte Architekturstudentin, wenn auch mit achtundzwanzig Jahren viel älter als die anderen Jungs und Mädchen mit ihren piepsenden Handys und bauchfreien Tops, die mit ihr in der Schlange gewartet hatten. Nur noch ein paar Monate bis zum Semesterbeginn. Dann würde ihr Leben – und da war Joe sich ganz sicher – endlich so sein, wie sie es sich immer erträumt hatte. Die »Joe vom Bau« würde dann nicht mehr existieren, auch wenn sie zugeben musste, dass sie sich an die neue Johanna selbst erst noch würde gewöhnen müssen.
Lächelnd hüpfte sie die Treppen hinunter. Dabei trällerte sie den alten Hit von SimplyRed, den sie an diesem Morgen im Radio gehört hatte: »Ifyoudon'tknowmebynow, you will nevergettoknowme .« Wieder fiel ihr Blick auf das Plakat, und spontan blieb Joe erneut stehen. Sie musste einfach ergründen, ob die Augen des Mannes hell oder dunkel waren.
»Schade. Singen Sie doch weiter.« Die Stimme hinter ihrem Rücken klang äußerst männlich.
Schmunzelnd drehte Joe sich um. Das Blut schoss ihr ins Gesicht. Ungläubig starrte sie den Mann vom Plakat an, der auf wundersame Weise direkt in ihr Leben katapultiert worden war. Sie war so verwirrt, dass plötzlich alle coolen Sprüche aus ihrem Gedächtnis ausradiert waren.
»Waren Sie auch bei meinem Vortrag?« Leibhaftig vor ihr stehend, wirkte dieser Mann noch tausendmal anziehender.
Joe lächelte, weil ein Lächeln auch immer eine Antwort war.
Er schien ihre Irritation nicht zu bemerken, sondern setzte den Vortrag fort, den er wohl gerade im großen Hörsaal beendet hatte. Sehr ernsthaft erläuterte er, dass es nicht so wichtig sei, was der Künstler mit
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