Der Professor - Wie ich Schwedens erfolgreichster Profiler wurde
progressiven und gleichberechtigten Schwangerschaftsprogramm zu folgen, an dem teilzunehmen von den werdenden Eltern erwartet wird. Der gesichtslose Vater darf endlich seine Maske abwerfen.
Gemeinsam mit etwa zehn anderen zukünftigen Elternpaaren (allesamt Akademiker, jünger oder mittleren Alters) nehme ich jede Woche am Schwangerschaftstraining teil, leichtere Gymnastik, Atemübungen, Entspannung und Gespräch.
Ein Kind zu gebären ist ein Klacks, versichert die Kursleiterin. Man merkt es kaum, wenn man nur die richtige Atmung beherrscht. Ich bin der beste Schüler des Kurses und schlafe beispielsweise bei den Entspannungsübungen immer umgehend ein. Natürlich bin ich auch bei den regelmäßigen Kontrollen bei Arzt und Hebamme dabei. Ich nicke neunmalklug beim Anblick unbegreiflicher Ultraschallbilder, betaste den Bauch und höre mir Herztöne mit dem Stethoskop an. Es ist nicht ganz klar, was ich gesehen und gehört habe, aber ich bin dabei.
Mitten in einer eiskalten Januarnacht ist es so weit. Das Fruchtwasser geht ab, und die Wehen haben eingesetzt. Ich selbst hole dreimal tief Luft, und eine Viertelstunde später fahren wir mit dem Auto zum Krankenhaus. Bus und U-Bahn gehören in eine andere Zeit und in ein anderes Leben.
Die alte Hebamme ebenfalls. Die Frauen, die uns jetzt empfangen, sind jung, schön, freundlich und hochgradig professionell. Die Geburt dauert sechs Stunden, und anschließend bekommt man ein Glas Champagner. Kind, Mutter und Vater werden buchstäblich auf Händen getragen. Das aber sind alles Nebensächlichkeiten. Ich erinnere mich hauptsächlich an die Schmerzen. Diese unbegreiflichen, unbezwingbaren Schmerzen, die in Wogen über die Frau in meinem Leben hinweggehen, ohne dass ich dagegen nur das Geringste unternehmen konnte.
Klar, wir versuchen zu atmen, wie wir das gelernt haben, und nach einer Weile keuche ich wie der Mannschaftskapitän der Eishockeymannschaft Tre Kronor beim entscheidenden Match gegen die Russen, wenn nur noch zwei Minuten Spielzeit übrig sind und ein Unentschieden reichen würde. Aber der Schmerz ist unerbittlich. Ich sehe ihn in ihrem Gesicht, ich kann ihn hören, ich spüre, wie er den Körper durchbohrt, und die Pausen zwischen den Schmerzwogen sind nur dazu da, die Qualen noch schlimmer zu machen, länger und über die Grenze des Erträglichen auszudehnen.
»Verdammt«, sage ich entmutigt. »Gibt es hier denn keine Narkose?«
»Es ist bald so weit«, sagt die Hebamme begütigend. »Es läuft ausgezeichnet. Wir nehmen etwas Lachgas. Jetzt atmen wir … jetzt wieder pressen … wuuunderbar …«
Du wirst in Schmerzen in ein besseres Leben geboren, denke ich, während mir der Schweiß den Nacken herunterläuft. Aber das hätte ich, verdammt noch mal, nie akzeptiert.
»Jetzt können Sie den Kopf sehen«, sagt die Hebamme und zeigt es mir.
Der Kopf, denke ich verwirrt. Ich seh da verdammt noch mal keinen Kopf.
»Hau ruck, ein letztes Mal, jetzt kommt sie.«
Und plötzlich plumpst sie heraus. Sie plumpst buchstäblich heraus. Rot, geschwollen, blutgestreift, die Augen zugekniffen, wütend ist sie auch, das höre ich an ihrem Schrei. Und sie ist natürlich die Schönste, die ich bislang gesehen habe.
Dieses Mal breche ich nicht den Weltrekord im Hochsprung aus dem Stand, hingegen im Rechnen aus dem Stand. Ein Mädchen, ein Kopf, ein Körper, zwei Arme, zehn Finger, zehn Zehen.
Ich atme drei Mal tief durch. Mann, Ehemann und Vater.
»Papa«, sagt sie und legt ihren dreijährigen lockigen Kopf auf die Seite. »Warst du dabei, als ich geboren wurde?«
Ich schaue von meinen Papieren hoch.
»Hm«, antworte ich und nicke leicht.
»Erzähl«, sagt sie.
Abwesend in Gedanken, Worten und Handlung, denke ich. Im Übrigen anwesend.
»Das ist nicht so leicht«, sage ich. »Papa kann nicht so gut über solche Sachen sprechen. Ich will versuchen, es irgendwann mal aufzuschreiben. Du kannst bis dahin doch Mama fragen.«
Sie nickt und sagt nichts.
In bereits fortgeschrittenerem Alter schenkt mir meine dritte Ehefrau zwei Bonuskinder. Sie sind, als wir uns zum ersten Mal begegnen, dreizehn und elf Jahre alt, und zwar weil ihre Mutter nur unwesentlich älter ist als mein ältester Sohn. Auch als Bonuspapa bin ich im tieferen menschlichen Sinne alles andere als ideal. Ich versuche, nett zu sein, und schenke ihnen alles, worauf sie deuten, noch ehe sie darauf gedeutet haben. Bei Kindern verhält es sich nun einmal so, dass sie eine Schwäche für Derartiges haben. Ein
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