Der Profi
Die Russenmafia wird dir kein Haar krümmen, solange du für sie arbeitest. Ihnen ist egal, wo du untertauchst. Über Moskau musst du dir keine Gedanken machen.«
Er ließ mich kurz vor der Pension aussteigen. Bevor er wegfuhr, warnte er mich:
»Bleib auf deinem Zimmer, Corsini! Geh auf keinen Fall auf die Straße. Sprich mit niemandem und führe keine Telefonate! In einer Woche, wenn etwas Gras über die Angelegenheit gewachsen ist, hole ich dich wieder ab.«
Ich wartete, bis Jarretes Wagen verschwunden war. Dann stoppte ich das erstbeste Taxi und wies den Fahrer an, mich zu meiner nächsten Verabredung im Hotel Sofitel in der Nähe des Flughafens von Barajas zu bringen.
Wir brauchten etwa zwanzig Minuten bis Barajas. Ich bezahlte den Taxifahrer, dann betrat ich das Hotel. Ich ließ die Rezeption links liegen und ging schnurstracks zum Aufzug. Dort traf ich auf zwei Piloten, die gerade aus Düsseldorf gekommen waren. Sie schimpften, weil ihre Betriebsleitung sie dazu zwang, fast fünfunddreißig Stunden in der Woche zu arbeiten. Sie wollten streiken. Zu gern hätte ich ihren Gesichtsausdruck gesehen, wenn ich ihnen meine letzten achtundvierzig Stunden geschildert hätte!
Die Piloten stiegen ein Stockwerk vor mir aus. Ich verließ den Fahrstuhl im sechsten Stock und suchte nach der verabredeten Tür. Zwar war es völlig übertrieben, aber da man mich darum gebeten hatte, klopfte ich mit den Handknöcheln zweimal das zuvor besprochene Erkennungszeichen. Charly öffnete mir. Er war bewaffnet und grüßte mich unterkühlt. Sein Kollege, Javi Moncada, gönnte mir keinen Gruß. Außer ihnen waren drei weitere Personen im Zimmer: Die dritte Person, noch immer von den Ereignissen überwältigt, zweifelte einen Moment, ob sie überhaupt mit mir sprechen sollte. Schließlich brachte sie ein kaum hörbares »Hallo …!« über die Lippen. Es war Fuad. Er saß mit verschränkten Armen auf dem Bett, der Schreck stand ihm im Gesicht geschrieben.
Die vierte Person trug einen Dreitagebart und steckte in einem schwarzen T-Shirt. Der Mann trennte sich nicht einen Augenblick von seiner Videokamera.
Die fünfte Person sagte:
»Also ganz ehrlich, Corsini, ich habe nicht dran geglaubt!«
Es war Cruz. Sie stand an die Tür des Badezimmers gelehnt und trocknete sich mit einem Handtuch die Haare. Sie trug Bluejeans und T-Shirt. Die Klamotten standen ihr prächtig. Sie sah wirklich besser aus als in den Tagen davor.
»Mein Plan war gut!«, hielt ich dagegen.
»Das meine ich gar nicht. Du warst derjenige, dem ich nicht vertraut habe! Ich war überzeugt, dass du dich wie eine Ratte davonmachen würdest.«
»Sie haben mir meine Geschichte eben abgenommen«, versuchte ich ihrem Misstrauen zu begegnen. »Das ist das Wichtigste. Außerdem: Das glaubst du ja wohl selbst nicht, dass ich einfach so abhaue!«
»Na ja, mit der Explosionsladung, die du mir auf die Brust geklebt hast, hast du jedenfalls ziemlich gepfuscht. Um ein Haar hätte mich die erste der beiden Ladungen tatsächlich getötet! Hab ’ne hübsche Brandwunde auf der Haut …«
Ich hatte eine Minisprengladung mit Fernbedienung und Neun-Volt-Batterie verwendet. Deshalb hatte Cruz während unseres Gesprächs mit Jarrete die Hände nicht aus der Jackentasche genommen: Der Fernzünder musste unentdeckt bleiben! Die ersten beiden Kugeln waren Platzpatronen gewesen, die anderen beiden waren echt. Ein Silikonpflaster und ein Beutel mit Schweineblut hatten die Schusswunde wahrheitsgetreu vorgetäuscht. Ein Trick, auf den nicht einmal ein halb blinder und stockbetrunkener Arzt aus der Nachbarschaft hereingefallen wäre. Aber ausreichend, um einen nervösen Polizisten, der über wenig Zeit verfügt, weil zwei mallorquinische Kripobeamte auf ihn zugerannt kommen, in einem fins teren Torbogen an der Nase herumzuführen. Alles war bestens inszeniert, und mit einer ordentlichen Dosis Glück hatte es geklappt.
Vorher hatte Cruz zu mir gesagt:
»Lucca Corsini, das ist eine völlig hirnverbrannte Idee!«
Und ich hatte geantwortet: »Falls du einen besseren Vorschlag hast, Hilfskommissarin, bin ich ganz Ohr.«
»Was genau hast du denn vor? Wenn ich recht verstehe, willst du unser Gespräch aufnehmen. Ja und? Kein Richter in Spanien würde jemals einen unautorisierten Mitschnitt akzeptieren! Außerdem wird Jarrete nicht so naiv sein, sich ohne weiteres von uns aufnehmen zu lassen.«
Ich muss gestehen, dass ich ihre Bedenken in den Wind schlug, ohne selbst wirklich ganz von der Sache
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