Der Profi
schreckliche postmoderne Gemälde an der Wand vor ihm, eins der Bilder junger, talentloser Künstler, auf die Lourdes so versessen war und mit deren Kauf sie ihr Konsumbedürfnis befriedigte. Eleuterios Heim, vormals eine Bastion der Männlichkeit und des guten Geschmacks, war in den letzten zwei Ehejahren unerbittlichen Veränderungen unterzogen worden. Zuletzt fühlte er sich in seinen eigenen vier Wänden wie ein Fremder. In einem Haus, das ihm von Tag zu Tag ungemütlicher vorkam und zunehmend ein Gefühl der Unsicherheit in ihm hervorrief.
Jeden Morgen wählte er ein Hemd (immer ein blaues) aus dem Kleiderschrank aus, zog mit Sorgfalt Manschettenknöpfe, Krawatte und Anzug an und verließ anschließend in seinem blauen Porsche Boxster die Garage. Der Wagen war ein Luxus, den er sich gegönnt hatte, und in der letzten Zeit eine seiner wenigen Freuden. Er stellte sich vor, dass junge Mädchen ihm an der Ampel zuzwinkerten: ein Gentleman, Mittfünfziger, die Haare schon etwas licht und graumeliert, aber Respekt einflößend, schlank, hochgewachsen. Mit anderen Worten: Die jungen Dinger mussten einfach zugeben, dass Don Eleuterio ein äußerst attraktiver Mann war. Das war zumindest, was er sich vorstellte.
Die Scheinwerfer seines Porsche schalteten sich automatisch ein, nachdem der eingebaute Sensor festgestellt hatte, dass es draußen noch dunkel war. Der Lichtstrahl fiel auf eine lange Reihe angrenzender Villen und spiegelte sich in der Netzhaut einer Katze, die zwischen den Müllcontainern herumscharrte. Keiner seiner Nachbarn stand so früh auf wie Eleuterio Zabaleta.
Der Portier der Wohnanlage, der noch ganz benommen von einer Nacht voller Pornohefte und Teleshop-Programme war, beobachtete Don Eleuterio beim Verlassen der Garage. Er fand, der Besitzer des Reihenhauses Nummer 22 sei ein rundum beneidenswerter Mann! Das jedenfalls legten sein Prachtstück von einem Eheweib, seine zwei blutjungen und engelshaften Töchterchen und sein Traumwagen deutscher Fabrikation nahe. Es gab kaum einen Zweifel: Diesem Mann lachte das Glück!
Don Eleuterio selbst hätte das wahrscheinlich ganz anders gesehen.
Ohne übermäßig aufs Gas zu treten, verließ Euleterio Zabaleta die Wohnanlage und fuhr direkt auf die A6, die um diese Uhrzeit bereits regen Verkehr aufwies. In weniger als einer halben Stunde würde sich die Nordwest- Tangente von Madrid in eine Hölle aus Abgasqualm und Blech verwandeln; später würde sie sich dann unter den ersten Sonnenstrahlen des Frühlings und der Verzweiflung der Autofahrer, die stundenlange Staus erwarteten, langsam aufheizen. Eleuterio schaltete das Radio ein und wählte seine Lieblings-Talksendung »Politik« aus, die ihm während der 25-minütigen Fahrt in sein Büro am Paseo de la Castellana Gesellschaft leistete. In Wahrheit schenkte er den Gesprächen der Talkrunde jedoch kaum Gehör. Ebenso wenig beachtete er das Nadelöhr an der Puerta del Hierro, der nordwestlichen Stadtgrenze der spanischen Hauptstadt, noch den metallisch glänzenden Aussichtsturm, der in dieser Gegend weithin sichtbar über die Bäume ragt.
Nein.
Er war in Gedanken ausschließlich bei seinen beruflichen Problemen, die ihm wieder die halbe Nacht den Schlaf geraubt hatten und ihm schon seit Monaten die Lust auf Sex nahmen, wogegen seine Gattin (nebenbei erwähnt) nur wenig unternahm. Im Bett hatte Lourdes sich von einem Vulkan langsam, aber sicher in einen Eisberg verwandelt. Seine ältere Schwester hatte ihm erst unlängst gesagt: »Ele, du bist wie besessen von deiner Arbeit, lern endlich, die Probleme aus dem Büro zu ignorieren und dein Leben zu genießen!« Sie hatte ja recht, aber was sollte er machen: Alles, wofür er sein Leben lang gekämpft hatte, stand auf einmal am Rand des Zusammenbruchs. Sein Arbeitspensum und die bösen Überraschungen nahmen täglich zu, und er merkte, dass die Umstände ihn immer weiter niederdrückten. Gerade ihn, der sich immer damit gebrüstet hatte, ein nüchterner Manager und echter Profi zu sein! Selbst Kleinigkeiten trieben ihm inzwischen den kalten Schweiß auf die Stirn.
Und dann war da dieses Stechen in der Brust. In letzter Zeit suchten ihn die Beschwerden immer häufiger heim, langsam begann er sich Sorgen zu machen. Er machte sich eine Notiz im Geiste: Noch in dieser Woche wollte er einen Arzttermin vereinbaren. Aus irgendeinem Grund – und das erschreckte ihn – musste er plötzlich an seine Kindheit in Pamplona zurückdenken. (War das schon der berüchtigte
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