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Der Prophet des Teufels

Der Prophet des Teufels

Titel: Der Prophet des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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den Anblick nicht ersparen. Wir haben einen Toten gefunden. Es bestehen gewisse Anhaltspunkte, daß es Hanussen ist.«
    Dzino nickt. Er ist fahl, und seine Hände zittern. Sowie er Näheres weiß, wird er alles liegen- und stehenlassen und aus Berlin verschwinden. Er kennt die Mörder. Und sie wissen, daß er sie kennt. Die Polizei hat Dzino den Paß weggenommen. Aber in diesen Wochen noch, in diesen Tagen, nein in dieser Stunde wird er flüchten.
    Ein uniformierter Polizist hebt die Plane weg.
    Dzino wirft einen Blick auf den Toten, wendet sich dann ab.
    »Geben Sie mir eine Zigarette«, sagt er zum Kriminalrat. »Er ist es.«
    »Sind Sie sicher?«
    »Jeder Zweifel ist ausgeschlossen. Ich erkenne ihn an den Zähnen.«
    Der Tote, der zweieinhalb Monate lang, oberflächlich verscharrt, in einer Mulde nahe der Landstraße Berlin-Breslau gelegen hatte, wird zur Beerdigung freigegeben. Beerdigung ist gut! Es gibt keine. Niemand meldet sich. Der Staat muß das Leichenbegängnis bezahlen. Er erspart sich jedes überflüssige Zeremoniell. Die Feierlichkeit hört da auf, wo die Kosten beginnen.
    Man legt den Toten in einen Fichtensarg. Vier Bedienstete der Friedhofsverwaltung übernehmen die Sache. Trinkgelder wird es keine geben. Das schätzen sie nicht sehr. Sie finden eine Ecke, ganz abseits, wo der Grund am billigsten ist und fast keine Leute vorbeikommen.
    Sie stellen ihren Karren ab und schaufeln. Es pressiert gar nicht. Um elf Uhr geht einer der vier Männer weg und holt ein paar Flaschen Bier. Dann essen sie ihre Butterbrote, und dann rauchen sie eine Zigarette. Und dann fahren sie mit ihrer Arbeit fort. Sie haben sich schon daran gewöhnt und finden nichts Besonderes an ihr. Um 15 Uhr sind sie fertig. Sie lassen den Sarg in das Grab, schütten es zu.
    »Wer das wohl gewesen ist?« fragt einer.
    »Ich weiß es nicht«, erwidert der andere. »Ein armer Hund wahrscheinlich. Kann nicht einmal seine eigene Beerdigung bezahlen.«
    Sie lachen. In einer halben Stunde ist Feierabend. Schöner Tag heute. Wenig Arbeit.
    Das ist das Leichenbegängnis von Erik Jan Hanussen, des größten Hellsehers der Welt. Der Mann, der allabendlich im Glanz der Scheinwerfer stand, der sein Publikum faszinierte, der sich mit einem Schwarm schöner Frauen umgeben hatte, der Mann, der jeden Maßstab verlor, der immer mehr wollte, endet in einem Reihengrab!
    Ist damit nicht alles, was er je zeigte, als Trick, als Theater, letztlich als Betrug entlarvt? Setzt man nicht von einem Hellseher voraus, daß er nicht blind in sein eigenes, vermeidbares Schicksal rennt?
    Diskussionen gibt es nicht. Diskussionen gehören zur Systemzeit. Damit wurde Schluß gemacht. In der Schreibtischschublade Hanussens, in der riesigen Kommandobrücke mit den vielen verschachtelten Geheimfächern, findet man das Horoskop, das sich Hanussen selbst gestellt hat. Seine Lebenslinie ist kurz, sehr kurz, und weist auf einen gewaltsamen Tod hin. Sie ist zweimal mit Rotstift unterstrichen. War das Spielerei, Zufall, Humbug?
    Kriminalrat Mölders nimmt es zu den Akten. Er muß sie schließen. Auf Weisung von oben. Der Fall Hanussen ist einer der ganz wenigen und ganz seltenen Fälle, die der Kriminalrat ungeklärt aus der Hand gibt. Es ist nahezu keine einzige kriminalistische Möglichkeit ausgeschöpft. Die Geschosse werden nicht untersucht, die Zeugen werden nicht vernommen, die Hinweise nicht beachtet.
    »Sie kannten ihn doch?« fragt der Kriminalrat seinen neuen Vorgesetzten.
    »O ja, flüchtig.«
    »Der Fall wäre zu klären.«
    »Jeder Fall ist zu klären«, entgegnet der neue Chef. Er lächelt zynisch. »Nur gibt es wichtigere als diesen da.«
    Nur ganz wenige erfahren, wo Hanussen beerdigt ist. In den ersten Wochen nach seinem Tod kommt öfters eine Frau mit rehbraunen Augen, mit einer zierlichen, ein wenig nach oben gestülpten Nase und sorgfältig gepflegten, brünetten Haaren an das Grab. Sie bringt Blumen. Doch auch diese Besuche hören bald auf. Das Leben geht weiter.
    Ohne Erik Jan Hanussen, der gescheitert ist. Ohne den Mann, der sein eigenes Grab geschaufelt hat. Ohne den Propheten des Teufels. Viele seiner Darbietungen konnten nach seinem Tode als Artistik entlarvt werden. Viele seiner Tricks werden heute in Jahrmarktbuden um fünfzig Pfennig gezeigt. Viele seiner Episoden erscheinen uns heute völlig lächerlich.
    Was bleibt von Erik Jan Hanussen, was bleibt vom »größten Hellseher seiner Zeit«, wenn man ihn seiner glänzenden Requisiten entkleidet, wenn man

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