Der Protektor (German Edition)
Königlichen Medizinischen Institut zu Krongatan, auf Anordnung von…, im Beisein von… eine Analyse vorgenommen an…“
Es folgt eine recht präzise Beschreibung.
Hier beginne ich aufmerksamer zu lesen, und noch bevor ich zu der Schlussfolgerung gelange, verstehe ich, warum sie vorläufig ist, oder – wie es im Protokoll vorsichtig ausgedrückt wird – ansatzweise. Es gibt nichts, was wir „unmittelbare Todesursache“ nennen. Die Verletzungen vom Unfall sind ernster Natur, betreffen aber keine lebenswichtigen Organe.
Ich lese es noch einmal durch. Die Blutergüsse in den Geweben sind verhältnismäßig gering, sie entsprechen ihrem Umfang nach nicht diesen Verletzungen. Eine merkwürdige Beobachtung. Das kann, verständlich ausgedrückt, nur eins bedeuten: Als Bresson verletzt wurde, war der Blutkreislauf schon zum Stillstand gekommen. Deshalb sind die Blutungen gering. Das Herz hat das Blut nicht normal ausgestoßen, es hat im Vortodeskampf gezuckt. Und das Bewusstsein war ausgeschaltet. Der schwere Lastwagen ist auf einen toten Menschen geprallt.
Doktor Bresson ist nicht nach dem Unfall gestorben, sondern davor. Der Zusammenstoß ist Folge, nicht Ursache.
Deshalb gibt es keine Bremsspuren auf dem Asphalt.
Ich will ein bisschen Zeit gewinnen und wende mich wieder demonstrativ dem Anfang des Protokolls zu.
Was vermuten die Gutachter?
Wahrscheinlich vermuten sie etwas, sind aber äußerst vorsichtig. Die Herzkranzgefäße sind untersucht, ein Infarkt wurde nicht festgestellt. Aber auch nicht mit Sicherheit ausgeschlossen. Es ist bekannt, dass bisweilen ein Infarkt nicht nachzuweisen ist, besonders, wenn der Tod unmittelbar darauf eintritt. Und hier ist das Bild völlig vernebelt.
Kann aber auch sein, es ist nicht so. Es gibt besondere Fälle, der Mensch ist ein außerordentlich lebensfähiges Wesen. Die Abfolge der Ereignisse hätte auch anders sein können: Herzkrise, Unfall. Jedoch Bresson stirbt nicht am Infarkt, sondern am Schock des Zusammenstoßes. Ein augenblicklicher, nervlich bedingter Tod, der sich jetzt überhaupt nicht nachweisen lässt.
Sie haben nichts gefunden – nichts -, und ich kann ihnen keinen Vorwurf daraus machen. Das ist einer von diesen seltenen, doch realen Fällen, bei denen die Gerichtsmediziner die Schultern heben und sich mit Ausflüchten aus der Affäre ziehen. Öberg weiß das ebenfalls sehr gut. Die Dinge sind weitaus verwickelter, als ich angenommen habe.
Ich lege das Protokoll beiseite und sehe den Kommissar an. Er sitzt hellwach da, die Augen aufmerksam zugekniffen. Ich gebe ihm die Blätter.
„Klarer Fall“, sage ich. (Was ist daran schon klar!) „“Wie gedenken Sie jetzt vorzugehen, Herr Kollege?“
„Was würden Sie an meiner Stelle tun?“
Das ist, versteht sich, eine rein rhetorische Frage, auf die Öberg keine Antwort erwartet. Deshalb schweigt er ein Weilchen und fragt dann: „Wollen wir den Operationsplan jetzt erörtern? Oder haben Sie andere Vorstellungen… Vielleicht wollen Sie sich mit der Situation vertraut machen?“
„Jetzt, wenn möglich. Und die Situation… die hängt vom Vorgehen ab.“
„Das stimmt.“ Öberg lächelt, aber seine schlauen Augen sind ernst. „Dann Frage eins: Tee oder Kaffee? Oder etwas Stärkeres?“
In solchen Fällen neige ich mehr zu Kaffee. Öberg streckt die Hand aus, drückt eine Taste der Sprechanlage auf dem Schreibtisch und sagt zwei Wörter. Danach wendet er sich wieder mir zu: „Wir dachten, die Expertise werde die Dinge entscheiden… aber Sie sehen ja selbst – sie haben ein Problem aufgezeigt und sich dann gedrückt. Sie haben Proben zur Untersuchung genommen, aber auf die können wir wohl kaum zählen.“
Ich weiß. Blut und so weiter. Wegen Vergiftungen. Mikroschnitte von der Herzwand. Die Löwenstein-Probe. Alles wird gemacht werden, und alles wird mehr als unsicher sein, mit Vorbehalten unterlegt, in denen die Medizin so virtuos ist.
Öberg fährt fort: „Einen Infarkt werden sie nicht nachweisen, und daraus erwachsen Ihnen und mir mehr als genug Unannehmlichkeiten. Dann müssen wir…“
Er hält inne, weil an die Tür geklopft wird. Eine adrette junge Frau kommt mit einem Tablett herein, auf dem Tassen, Kännchen und eine kleine Stange mit Zuckerwürfeln stehen. Sie gießt ein, setzt die Tassen vor uns hin und geht hinaus.
Öberg trinkt einen Schluck und wiederholt: „Dann müssen wir nach dem anderen suchen, angefangen von Selbstmord bis hin zu einem vorgetäuschten Unfall.“
So
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