Der Protektor (German Edition)
dabei den widerwärtigen Geruch verbrannten Kerosins ein, und als mich der Bus nach seinen rituellen Bogen mit den anderen Passagieren vor der Gepäckhalle absetzt, sehe ich, dass man mich erwartet.
Genauer gesagt ist ein hochgewachsener, blonder Mann gekommen, ganz jung, wohl keine fünfundzwanzig. Er hat ehrliche blaue Augen, gescheiteltes Haar und ein sorgfältig gestutztes Richelieubärtchen. Er ist sympathisch, trotz des pedantisch gekämmten Haars, was ihm gar nicht steht, und dieses stutzerhaften Bärtchens. Er verbeugt sich ruckartig und stellt sich vor.
„Charlie Hedlund. Gestatten Sie.“
Wir versuchen ein paar freundliche Worte zu wechseln, und sofort wird mir klar, dass wir uns in einem eigentümlichen Ostsee-Esperanto verständigen werden, in dem es französisch -schwedische Wurzeln gibt, ein bisschen was von der Sprache Hamlets und allerhand französische Endungen. Charlie Hedlund versucht sogar, deutsch zu sprechen, jedoch ohne sonderlichen Erfolg.
Schließlich einigen wir uns auf Esperanto. Hedlund erklärt, dass Kommissar Öberg sich freuen wird, mich zu sehen.
Wenn möglich, gleich jetzt.
„Übrigens, Herr Kommissar…“
„Inspecteur général“, werfe ich ein.
„Wenn der Herr Inspecteur übrigens wünscht, können wir auch zuerst in Ihr Quartier fahren. Ihre Landsleute aus Frankreich haben ein Appartement für Sie gemietet.“
Diesen ziemlich holprigen Erklärungen entnehme ich, dass die Leiterin der französischen Gruppe, Doktor Hanna Falk, sich darum gekümmert hat, mir bei Ihnen in der Pension der UNIKS ein Zimmer zu mieten.
Besser zuerst ins Kommissariat, damit ich mir über die Lage klar werde. Lalande hat erwähnt, dass der Kommissar einer der erfahrendsten Männer im Bezirk ist, es empfiehlt sich also, zuerst ihn aufzusuchen, zumal auch er Wert darauf legt.
Das Gepäckkarussell bringt meinen Koffer, und ich gehe mit Hedlund zum Ausgang.
Draußen empfängt uns ein früher nördlicher Herbst. Der etwas abseits gelegene, in einen gewaltigen Parkplatz umgewandelte Bahnhofsvorplatz wird von der Nachmittagssonne beschienen. Dahinter leuchten die blaugrünen Wipfel der Tannen, dazwischen goldgelbe Kronen von Birken, ein Anblick wie aus einem Aquarell geschnitten.
Das Blubbern von Autobussen erfüllt die Luft, auf den breiten asphaltierten Fahrbahnen rollen in einer endlosen Schlange Autos dahin. Ein Polizeiwagen – gelb mit schwarzen Streifen – fährt vor und hält am Bordstein. Der Fahrer öffnet die Tür von innen und mustert mich dabei rasch und neugierig. Ein Inspecteur général aus Frankreich kommt nicht jeden Tag.
„Bitte!“, fordert mich Hedlund auf.
Das Auto fährt um den Platz herum und biegt in eine breite Überlandstraße ein. Zu beiden Seiten unterbrechen kleine, dunkle Tannenwälder das leuchtende Grün der Wiesen. Da und dort zeigen sich spitze rote Dächer, in der Ferne tauchen Glockentürme auf mit Fensterchen wie verschiedenfarbige Augen. Es ist schön, fern und irgendwie streng – eine nördliche Schweiz.
Am Rande der Straße wachsen plötzlich Schutzgitter in die Höhe, und durch ihr Geflecht schimmert ein See von unwahrscheinlich perlmuttblauer Farbe. Nur für einen Moment, dann entzieht er sich den Blicken. Die Schutzgitter verschwinden, die Tannen erscheinen wieder, dieses Mal ganz nahe.
Ich wechsle ein paar Worte mit Hedlund. Er bringt es zuwege, mir zu erklären, dass dies kein See ist, sondern ein Meeresarm. Zur Bestätigung seiner Worte steigen die Schutzgitter wieder in den Himmel, und zu beiden Seiten erstreckt sich das Blau des Wassers. Unten, an der Steilküste, taucht kaum erkennbar ein Schiff auf. Es bleibt zurück, das Ufer tritt – felsig und dunkel – näher, die Straße windet sich herum.
Die ersten Ampeln blinken, und wir gelangen in gepflegte Vororte.
Die Häuser zeigen gelbe, weiße und rosa Fassaden mit braunen Fensterrahmen. In der Überlandstraße münden kleine Asphaltstraßen, Autos überholen uns, an den Kreuzungen müssen wir warten. Zu beiden Seiten erscheinen Werbetafeln.
Das abendliche Krongatan empfängt uns mit Lärm und den ersten Lichtern. Um diese Stunde scheint alles auf den Straßen zu sein: Die Büroangestellten haben gerade Feierabend, Hausfrauen schieben kleine Wägelchen mit den letzten Einkäufen vor sich her, bärtige junge Männer schlendern neben Mädchen in Jeans, daneben Seeleute und Gruppen lärmender Studenten. Bremsen quietschen, wenn sich flinke Radfahrer zwischen den Autos durchschlängeln.
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