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Der Rabbi

Der Rabbi

Titel: Der Rabbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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einer verdrossenen Sekretärin abberufen.
    Das dauernde Läuten des Telephons, das Rattern des Abziehapparats und das gleichmäßige Geklapper von zwei Schreibmaschinen vereinten sich zu einem hämmernden Lärm, der erbarmungslos auf Michael einschlug. Am späteren Vormittag verspürte er bereits einen dumpfen Schmerz in der Stirn und suchte nach einem Vorwand, das Büro zu verlassen. Um halb zwölf ergriff er endgültig die Flucht, aß eine Kleinigkeit in einer Imbißstube und machte sich dann auf seine Seelsorgebesuche, deren einer ihm Tee und Strudel zum Nachtisch einbrachte. Um halb drei war er im Krankenhaus bei einer Frau, die soeben um drei Gallensteine erleichtert worden war; er verließ sie kurz vor drei, nachdem sie ihm die Steine gezeigt hatte, wie Gemmen auf schwarzen Samt gebettet, als künftige Familienerbstücke.
     
    Als er auf dem Parkplatz des Krankenhauses in seinen Wagen stieg, fielen ihm die Mitgliederlisten wieder ein, und er zog seine Jacke aus, rollte die Hemdsärmel hinauf und das Wagenfenster herunter und fuhr hinaus aus der Stadt, hinaus aufs Land, blinzelnd gegen die blendende Nachmittagssonne.
    Vor dem Bauernhaus angelangt, läutete er und wartete, aber niemand kam ans Tor. Er nahm seine Jacke aus dem Wagen und ging um das Haus herum in den Wirtschaftshof. Er fand Mrs. Elkins hingegossen auf einem Liegestuhl im Schatten einer mächtigen Eiche, die langen schlanken Füße hochgelagert und die Knie gespreizt, so daß er durch das braune V ihrer Beine die Schüssel mit den Körnern auf ihrem nackten Bauch sehen konnte. Sie war umgeben von schnatternden Enten, denen sie mit nachlässigen Schwüngen Futter streute. Ihre sehr kurzen Shorts enthüllten, was Modeschöpfer so leicht verbergen können: das zarte Gesprenkel der Adern auf ihren Schenkeln als erstes Anzeichen des Alterns. Die Shorts waren weiß, der Büstenhalter blau und ihre Schultern waren rund, aber sommersprossig. Was Michael jedoch überraschte, war ihr Haar, das nicht strohblond war, sondern von warmem, leuchtendem Braun.
    »Oh, Rabbi«, sagte sie, stellte die Körnerschüssel ab, schlüpfte in ihre Sandalen und erhob sich.
    »Guten Tag. Mr. Kahners braucht die Mitgliederlisten«, sagte er. »Sie sind fertig. Können Sie ein paar Minuten warten, bis ich diese Ungeheuer gefüttert hab?«
    »Lassen Sie sich nur nicht stören. Ich hab massenhaft Zeit.«
     
    Sie streute die Körner aus, und er begleitete sie, umringt von den gierigen Enten, zu einem Drahtkäfig im Schatten des Hauses. Sie öffnete den Verschlag, dessen Tür in rostigen Angeln durchdringend knarrte, stellte die Futterschüssel hinein und schlug das Gitter gerade rechtzeitig zu, um die Flucht eines großen Enterichs zu verhindern, der ihnen eilig und flügelschlagend auf seinen roten Schwimmfüßen entgegenkam.
    »Warum ist er eingesperrt?« fragte Michael.
    »Wir haben ihn eben erst bekommen, und seine Flügel sind noch nicht gestutzt. Das macht Harold, wenn er zurückkommt. Bitte, nehmen Sie Platz. Ich bin gleich wieder da.« Sie wandte sich zum Haus und er zum Liegestuhl, sorgfältig darauf bedacht, ihr nicht nachzusehen. Am Himmel waren indessen Wolken aufgestiegen. Während Michael sich setzte, grollte der erste Donner, dem das aufgeregte Geschnatter der Enten antwortete. Nach einer Weile kehrte Mrs. Elkins zurück und brachte zwar nicht die Listen, aber ein großes Tablett, auf dem Eis, Gläser und einige Flaschen standen.
    »Nehmen Sie mir das ab, bitte, es ist schwer! « rief sie ihm zu. »Stellen Sie's nur auf den Rasen.«
    Er nahm das Tablett und stellte es hin. »Das wäre nicht notwendig gewesen«, sagte er. »Ich komme unangemeldet, und Sie fühlen sich heute nicht wohl.«
    »Nicht wohl?«
    »Sie sind doch erkältet.«
    »Ach so.« Sie lachte. »Nein, Rabbi, ich bin nicht erkältet. Ich hab Mr.
    Kahners angelogen, weil ich zum Friseur gehen wollte.« Sie sah ihn an.
    »Haben Sie jemals gelogen?«
     
    »Ich denke doch.«
    »Ich lüge oft.« Sie strich über ihr braunes Haar. »Gefällt es Ihnen?«
    »Sehr«, sagte er wahrheitsgemäß.
    »Ich hab bemerkt, daß Sie mein Haar angesehen haben. Ich meine neulich, als Sie zum erstenmal hier waren, und auch später, als ich in Ihr Büro kam. Ich hätte schwören können, daß Ihnen die frühere Farbe nicht gefallen hat.«
    »Sie war sehr hübsch«, sagte er. »Jetzt lügen Sie, nicht wahr?«
    »Ja«, sagte er und lächelte.
    »Die Farbe ist besser, finden Sie nicht? Die gefällt Ihnen?« Und sie berührte

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