Der Rabbi
schlief selber fast sofort ein. Als er erwachte, wiesen die Leuchtzeiger der Uhr auf 3 Uhr 20, und Michael wurde gewahr, daß sie nicht mehr neben ihm lag, sondern rauchend am offenen Fenster saß und hinaus in die Dunkelheit starrte. Die Grillen zirpten durchdringend, und er wußte plötzlich, daß ihr schrilles Lärmen ihn aufgeweckt hatte. » Laut sind sie heute, nicht wahr?« sagte er. Dann stand er auf und setzte sich ihr gegenüber aufs Fensterbrett. »Was machst du da?«
»Ich konnte nicht einschlafen.«
Er nahm eine ihrer Zigaretten, und sie gab ihm Feuer, wobei in dem plötzlichen hellen Aufflackern ihre Augen unnatürlich groß wirkten in dem traurigen und überwachen, aus hellen Flächen und tiefen Schatten sich formenden Antlitz. »Was hast du denn, Leslie?« fragte er sanft.
»Ich weiß nicht. Schlaflosigkeit wahrscheinlich. Ich kann in letzter Zeit einfach nicht mehr einschlafen.« Sie schwiegen beide. »Ach, weißt du, Michael«, sagte sie nach einer Weile, »wir sind einfach bitter geworden.
Einfach zu bitter für etwas so Süßes wie ein Kind.«
»Was redest du da«, sagte er heftig und wußte doch im nämlichen Moment, daß er log und als Heuchler entlarvt war, vor ihr, die ihn zu gut kannte, als daß er ihr etwas hätte vormachen können. »Welch eine Theorie! Und wie wissenschaftlich! «
»Aber, Michael!«
»Wird schon werden«, sagte er. »Und für Adoption ist es nie zu spät.«
»Das wäre wohl nicht recht unserm Kind gegenüber.« Sie sah im Dunkel zu ihm auf. »Weißt du, woran es in Wirklichkeit liegt?« »Geh jetzt ins Bett.«
»Du bist nicht mehr der junge jüdische Lochinvar aus den Bergen, und ich bin nicht mehr das Mädchen, für das du den großen Fisch gefangen hast.«
»Verdammt noch mal«, sagte er wütend. Er legte sich wieder hin, allein.
Und während sie weiter rauchend im Dunkeln saß, fand jetzt er keinen Schlaf und starrte immerzu auf die rote Glut ihrer Zigarette und dachte an jenes entschwundene Mädchen und eine vergangene Liebe, die noch immer so stark war, daß sie sich auch durch das Kissen nicht ersticken ließ, das er sich übers Gesicht zog, um darunter Vergessen zu finden.
Kahners' Kampagne hatte nun jenen Punkt erreicht, zu dem es an der Zeit war, den Tempel auf Raten zu verhökern. Eine hektographierte Liste mit dem Titel »Zum bleibenden Gedächtnis« wurde zur Aussendung vorbereitet. Darin wurden die Gemeindemitglieder erinnert, daß ein guter Name mehr zähle als aller Reichtum, und liebendes Angedenken mehr als Silber und Gold. So viel sei sicher: die höchste Tugend bestehe in einem Namen, der der Wohlfahrt der Gemeinde, der Erziehung der Jugend, der Formung edler Charaktere geweiht sei. Man offerierte ihnen die einmalige Gelegenheit, den eigenen oder den Namen eines teuren Verblichenen einem Bauwerk einzumeißeln, das die Zeiten hindurch dauern würde als Beispiel für kommende Geschlechter. Nur fünfundzwanzigtausend Dollar, und die Synagoge würde den Namen des Spenders tragen.
Der Andachtsraum wäre für zehntausend Dollar zu haben, die Zuhörergalerie für ebensoviel, während die Talmudschule, ein Gesellschaftsraum und die Klimaanlage je siebentausendfünfhundert kosten würden.
Die bema war mit sechstausend Dollar ausgeschrieben. Die Thora (komplett mit allem Zubehör, inklusive Jad) war um
zweitausendfünfhundert Dollar die reinste m'zi'e, wenn man bedachte, daß der Raum zur Verwahrung der heiligen Geräte - gravierte Namensplakette in Messing an der Tür - mit dreitausendfünfhundert angesetzt war.
Die Liste war vierseitig, hektographiert und geheftet. Kahners verwendete immer dieselbe, bei jeder jüdischen Finanzierungskampagne.
Er hatte ganze Bündel davon bereits mitgebracht, in einer seiner Kisten verstaut, so daß nichts weiter mehr zu tun war, als auf der ersten Seite den Namen des Tempels Emeth einzusetzen und die Listen durch den Adressographen des Tempels laufen zu lassen.
Kahners wandte sich stöhnend an Michael. »Jetzt hab ich die beiden Mädchen gestern bis spät in die Nacht am Adressieren arbeiten lassen.
Aber die Listen! Geh, verlaß dich auf reiche freiwillige Mitarbeiter!
Nimmt doch diese Elkins die Listen gestern zum Matrizieren nach Hause, und heute ruft sie an, sie kann nicht hereinkommen. Eine Sommergrippe.«
»Ich werd versuchen, jemanden zu finden, der sie am Nachmittag abholen kann«, sagte Michael.
»Bis sieben Uhr brauchen wir das Zeug. Spätestens halb acht«, sagte Kahners und wurde schon wieder von
Weitere Kostenlose Bücher