Der Rabbi
Mutter bringen und das Hemd ausziehen würde, um ihr die blauen Flecken auf seinen Schultern zu zeigen, ganz so wie Douglas Fairbanks sein Hemd aufgerissen hatte, um seiner Geliebten die Striemen von ihres Vaters Peitsche auf seinen Schultern zu zeigen - im Kino, vergangenen Samstag.
Er war eben dabei, den Vorgeschmack des mütterlichen Schmerzes auszukosten, als Stash hinter einer Anschlagtafel hervor ihm in den Weg trat. »Hello, Mikey«, sagte er verdächtig sanft. Michael hatte vorher nicht gewußt, daß er den Rohrstock für Stash mitgenommen hatte, aber jetzt sauste der Stock durch die Luft und traf den Gegner auf Wange und Lippen.
Stash schrie überrascht auf. »Du kleiner Jude!« Er stürzte sich blindlings auf Michael, der abermals zuschlug, bemüht, die Arme und Schultern seines Gegners zu erreichen.
»Hör auf, du kleines Luder! « schrie Stash. Instinktiv hob er die Arme, um sein Gesicht zu schützen. »Ich bring dich um«, tobte er, aber als er sich halb abwendete, um dem pfeifenden Schlag auszuweichen, zog ihm Michael den Rohrstock über sein fettes fleischiges Hinterteil.
Plötzlich hörte er jemanden weinen und konnte kaum glauben, daß es nicht er selbst war. Stashs Gesicht war so schmerzverzogen, daß sein Kinn wie eine geschrumpfte Kartoffel aussah, während sich die Tränen mit dem Blut vermischten, das von seinen Lippen tropfte.
Jeder Schlag, den Michael führte, bewirkte einen weiteren Schmerzensschrei, und Michael schlug zu und schlug zu, wie sie da liefen, bis er es schließlich aufgab, den Kerl zu jagen, weil ihm der Arm müde wurde. Stash verschwand um eine Ecke und war weg.
Den Rest des Heimwegs überlegte Michael, wie er es noch besser hätte machen können; wie er mitten im Schlagen hätte aufhören sollen, aufhören und Stash zwingen, zu sagen, daß die Juden Christus nicht umgebracht haben, daß sie keine Scheiße fressen und sich nicht die Schwänze abschneiden, um sie am Samstagabend als Stew zu essen.
Daheim angelangt, versteckte er den Rohrstock hinter dem Heizkessel im Keller des Apartment-Hauses, anstatt ihn der Mutter zu bringen. Anderntags holte er ihn aus dem Versteck und nahm ihn mit in die Schule. Miss Landers, seine Lehrerin in der Public School 467, bemerkte den Stock und fragte ihn danach, worauf er ihr sagte, es sei ein Zeigestab, den seine Mutter sich von der Talmud-Schule geliehen habe. Sie betrachtete ihn, öffnete schon den Mund, schloß ihn aber wieder, als hätte sie sich eines anderen besonnen.
Nach Schulschluß lief er hinüber zur Talmud-Schule, kam dabei ganz außer Atem, hatte Seitenstechen, und ging dann so schnell er konnte weiter.
Fünfzehn Minuten vor Schulbeginn war er zur Stelle. Reb Chaim saß allein in der Klasse, mit Korrekturen beschäftigt. Er ließ Michael, der mit dem Stock in der Hand auf ihn zutrat, nicht aus den Augen. Michael übergab ihm den Stock. »Entschuldigen Sie, ich hab ihn mir ausgeborgt, ohne Sie zu fragen. «
Der Reb drehte den Stock in seinen Händen, so als sähe er ihn zum erstenmal. »Und warum hast du ihn dir ausgeborgt?«
»Ich hab ihn ausprobiert. An einem Antisemiten.«
Michael hätte schwören mögen, daß Reb Chaims Lippen unter dem Bart sich zu einem Lächeln verzogen, doch Reb Chaim war nicht der Mann, sich von vordringlichen Geschäften abbringen zu lassen. »Bück dich«, sagte er nur.
Der Reb schlug ihn sechsmal über den Hintern. Es tat sehr weh, und er weinte, aber er dachte ununterbrochen daran, daß er Stash Kwiatkowski weit stärker geschlagen hatte, als Reb Chaim jetzt ihn schlug.
Beim Eintreffen seiner Mitschüler war alles schon vorüber, er weinte nicht mehr, und eine Woche danach wurde er nach hinten versetzt, und Robbie Feingold nahm seinen Platz ein, denn er war ein dummer Junge, der beim Vorlesen immer kichern mußte. Reb Chaim schlug Michael nie wieder.
6
Am Tag seiner bar-mizwe, nervös und unfähig zu schlafen, saß er schon um drei Uhr morgens in der Küche der Wohnung in Queens und führte die imaginären Fransen eines imaginären taless an eine imaginäre Thora und dann an die Lippen.
»Borchu es adonai hamvoroch«, murmelte er. »Borchu adonai hamvoroch l'olom voed.«
»Michael?« Seine Mutter schlurfte schlaftrunken in die Küche, ihre Augen blinzelten ins Licht, ihr Haar war unfrisiert. Sie trug einen blauen Flanellschlafrock über einem zu kurzen rosa Baumwollpyjama. Vor kurzem hatte sie begonnen, ihr Haar tizianrot färben zu lassen; sie sah damit aus wie ein dicker Clown,
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