Der Rabbi
seinen Arm. Aber es war blinder Alarm, nichts weiter geschah.
»Es muß sehr unangenehm sein, Jude zu sein; viel schlimmer als Vegetarier«, sagte sie. »Mit all der Verfolgung und dem Wissen um die Todeslager und die Krematorien und all das.«
»Ja, sicher ist es unangenehm - wenn man selbst im Krematorium oder im Konzentrationslager ist«, sagte er. »Aber draußen, überall sonst, kann es wunderbar sein; da wird's nur unangenehm, wenn man es unangenehm sein läßt -wenn man zum Beispiel duldet, daß Leute einen guten Tag mit Gerede kaputtmachen, statt daß sie sich darauf konzentrieren, ihren schönen, aber hungrigen und knurrenden Bauch zu füllen.«
»Mein Bauch knurrt nicht.«
»Ich hab es ganz deutlich gehört - er knurrt fast wie ein Tier.« »Ich mag Sie gern«, sagte sie.
»Ich mag Sie auch gern. Ich habe so viel Vertrauen zu Ihnen, daß ich mich jetzt ein wenig schlafen lege.« Er streckte sich auf der Decke aus und schloß die Augen, und erstaunlicherweise schlief er wirklich ein, obwohl er das keineswegs beabsichtigt hatte. Als er erwachte, hatte er keine Ahnung, wie lang er geschlafen hatte; aber das Mädchen saß noch immer in derselben Haltung neben ihm, als hätte sie sich überhaupt nicht geregt; nur ihre Schuhe trug sie nicht mehr. Die Füße waren wohlgeformt, nur an der rechten Ferse entdeckte er zwei kleine Stellen gelblich verhärteter Haut und an der kleinen Zehe ein winziges Hühnerauge. Sie wandte den Kopf und lächelte, als sie bemerkte, daß er sie ansah - und in diesem Augenblick zog der Fisch an, und die Leinenwinde begann zu schwirren.
»Da«, sagte sie und wollte ihm die Rute reichen, aber er drückte sie ihr wieder in die Hand.
»Langsam bis zehn zählen«, flüsterte er. »Dann ein kräftiger Ruck, damit der Haken festsitzt.«
Sie zählte laut, ab vier von nervösem Lachen geschüttelt. Bei zehn riß sie die Angel kräftig hoch. Sie begann die Leine aufzuwinden, aber der Fisch kreuzte im Tümpel hin und her, kämpfte um sein Leben und kam nicht an die Oberfläche, bis Leslie in ihrer Aufregung die Angelrute hinwarf und die Leine Hand über Hand einholte. So brachte sie ihn schließlich aus dem Wasser; er war ein schöner Barsch, besser als der erste, dunkel und dick und an die vierzig Zentimeter lang. Der Fisch zappelte auf der Decke, schlug um sich und versuchte, in den Tümpel zurückzukommen. Sie mühten sich beide, ihn festzuhalten, und als sie sich mit ihm herumbalgten, legte Michael die Arme um Leslie, und ihre Hände waren in seinem Haar, und er spürte ihre Brüste deutlich und lebendig an seiner Brust und fast noch lebendiger den Fisch zwischen ihren Brüsten, und ihr Lachen sprudelte von ihrem Mund in seinen, als er sie küßte.
Er fürchtete, Leslie werde wütend über ihn sein, als er ihr Stan Goldsteins Jagdhütte auf der Anhöhe zeigte, aber beim Anblick all der Regale voll mit Konservendosen begann sie von neuem zu lachen. Er trug ihr auf, Bohnen zu wärmen, während er den Fisch zum Brunnen hinter dem Haus trug. Diesen Teil des Programms hatte er in seiner Planung vergessen gehabt. Außer einer unscheinbaren Barbe, die er vor vierzehn Tagen mit dem kleinen Bobby Lilienthal gefangen hatte, waren seine einzige Beute bis jetzt die Flundern gewesen, die er und sein Vater jedesmal triumphierend bei einem Fischverkäufer aus der Nachbarschaft gegen andere Nahrungsmittel eingetauscht hatten. Er hatte Phyllis Lilienthal zugesehen, wie sie aus dem Fang ihres Sohnes ein Abendessen bereitet hatte; jetzt, bewaffnet mit einer rostigen Schere, einer Zange und einem stumpfen Fleischermesser, versuchte er Schritt für Schritt zu rekonstruieren, wie sie es angestellt hatte.
Mit dem Messer führte er zwei tiefe, wenn auch unsichere Schnitte entlang der Rückengräte, die er dann mit der Zange herausriß. Während dieser Prozedur war Phyllis Lilienthals Fisch nochmals zu unerwartetem Leben erwacht und ihr fast aus den Händen gesprungen. Als Michael sich jetzt daran erinnerte, schmetterte er seinen Fisch mit dem Kopf gegen einen Felsen, mit so viel Nachdruck, als gelte es, einen Mann zu enthaupten; dennoch schauderte er noch immer beim Gedanken an die blutige Erweckung jenes anderen Fisches. Dann schnitt er mit der Schere den weißen Bauch vom After bis zum Maul auf. Mit der Zange zog er die Haut ab und wunderte sich, wie wenig Mühe es bedurfte, die Eingeweide zu entfernen. Das Abschneiden des Kopfes bereitete einige Schwierigkeiten. Während er mühsam mit dem Messer hin und
Weitere Kostenlose Bücher