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Der Rabbi

Der Rabbi

Titel: Der Rabbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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breiteres Bett ergoß. Schließlich fanden sie einen geeigneten Platz auf einem grasbewachsenen Abhang und breiteten die Decke aus; Treibholz hatte an dieser Stelle im Fluß eine Staustufe gebildet, an deren Fuß das Wasser tief und sehr klar war. Schweigend sah Leslie zu, wie Michael einen Köder aus dem Eimer holte und ihn an die Angel spießte, vorsichtig, um die Wirbelsäule nicht zu verletzen und die Elritze am Leben zu erhalten.
    »Tut ihm das weh?«
    »Ich weiß es nicht.« Er warf die Angel aus, ein paar Augenblicke lang sahen sie den Köder in der Mitte des Tümpels treiben, sahen, wie er sich in die Tiefe schlängelte, wo das Wasser grünlich war und sehr kalt aussah, bis er ihren Blicken entschwand.
     
    Eine Blüte trieb nahe dem Ufer im Wasser, und Leslie beugte sich über die Böschung, um sie aufzufischen. Ihr Pullover schob sich ein wenig hinauf und ließ Michael zwei Handbreit ihres nackten Rückens und eine verlockende Andeutung des Hüftansatzes über dem gürtellosen Hosenbund sehen, aber schon saß sie wieder aufrecht, die nasse Blüte in der Hand: sie war groß und weiß, aber eines ihrer vier Blätter war gebrochen. »Was ist das?« fragte das Mädchen und betrachtete voll Staunen die Blüte.
    »Hartriegel«, sagte er.
    »Mein Vater hat mir Geschichten vom Hartriegel erzählt«, erwiderte sie.
    »Was für Geschichten?«
    »Legenden. Aus dem Holz des Hartriegels hat man das Kreuz gemacht. Mein Vater ist Geistlicher. Kongregationalist.«
    »Das ist schön.« Michael zog prüfend an der Leine.
    »Das glauben Sie«, sagte das Mädchen. »Er war für mich der Pfarrer, wie für alle anderen Leute, aber er war so damit beschäftigt, Gott und seiner Gemeinde zu dienen, daß er nie Zeit hatte, auch mein Vater zu sein. Achten Sie darauf, Rabbi, wenn Sie je eine Tochter haben sollten.«
    Er wollte erwidern, aber dann wies er auf die im Wasser treibende Leine, die allmählich unter den Wasserspiegel zu sinken begann, gezogen von etwas Unsichtbarem. Er stand auf, rollte die Leine auf die Winde, und dann tauchte der Fisch auf, ein stattlicher grünschillernder Fisch von gut dreißig Zentimeter Länge, mit weißem Bauch und breitem Schwanz, mit dem er zweimal um sich schlug, bis er sich von der Leine befreite und im Tümpel untertauchte. Michael zog die Leine ein. »Ich hab zu schnell angezogen und vergessen, den Haken einrasten zu lassen. Mein Lehrer würde sich meiner schämen.«
    Sie sah ihm zu, wie er einen frischen Köder auf die Angel spießte und diese von neuem auswarf. »Ich bin fast froh«, sagte sie. »Werden Sie mich auslachen, wenn ich Ihnen etwas sage?«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Ich war Vegetarierin, von meinem vierzehnten Lebensjahr bis lang in meine Hochschulzeit. Ich war einfach der Meinung, es sei Sünde, lebendige Wesen zu essen.«
    »Und wieso haben Sie Ihre Meinung geändert?«
    »Ich hab sie eigentlich nicht geändert. Aber dann hab ich begonnen, mit Burschen auszugehen, und wir gingen gemeinsam essen, eine ganze Gruppe junger Leute, und alle aßen sie Steak, und ich kaute an meinem Salat, und der Fleischgeruch machte mich fast verrückt.
    Schließlich hab ich eben auch Fleisch gegessen. Aber noch immer ist mir der Gedanke verhaßt, daß wir anderen Lebewesen Schmerz zufügen.«
    »Gewiß«, sagte er. »Kann ich verstehen. Aber jetzt sollten Sie lieber hoffen, daß dieses Lebewesen oder einer seiner Verwandten nochmals anbeißt. Dieser Fisch ist nämlich Ihr Lunch.« »Sonst haben wir nichts zu essen?« fragte sie.
    Er schüttelte wieder den Kopf.
    »Gibt es ein Restaurant in der Gegend?« »Nein.«
    »Du lieber Himmel«, sagte sie, »Sie sind völlig verrückt. Plötzlich habe ich einen Mordshunger.«
     
    »Na, dann versuchen Sie's.« Er reichte ihr die Angelrute. Gebannt schaute sie ins Wasser.
    »Kind ist ein merkwürdiger Name für einen Rabbiner, oder nicht?«
    sagte sie nach einer Weile.
    Er schien nicht ganz zu verstehen. »Klingt nicht sehr jüdisch, meine ich.«
    »Wir haben ursprünglich Rivkind geheißen. Mein Vater ließ den Namen ändern, als ich noch ein Kind war.«
    »Ich bin für Originalfassungen. Rivkind gefällt mir besser.«
    »Mir auch.«
    »Warum lassen Sie ihn nicht wieder ändern?«
    »Ich bin daran gewöhnt. Es wäre genauso dumm von mir, den Namen ändern zu lassen, wie es dumm war von meinem Vater. Oder nicht?«
    Sie lächelte. »Doch, ich verstehe schon.« Etwa sechzig Zentimeter der treibenden Leine tauchten plötzlich unter, und sie legte die Hand auf

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