Der Raecher
Sie mich? Ich weiß nichts.«
Reifen quietschten vor dem Haus, Schritte hasteten die Stufen zur Haustür herauf. Frau Rajak riss die Tür auf, und ihr Mann stürmte herein. Er wirkte nervös und aufgebracht. Eine Generation älter als sein Sohn, sprach er kein Englisch. Dafür brüllte er etwas auf Serbokroatisch.
»Er will wissen, was Sie in seinem Haus verloren haben«, übersetzte Stojić, »und warum Sie seinen Sohn belästigen.«
»Ich belästige niemanden«, erwiderte der Spürhund ruhig. »Ich stelle nur Fragen. Was hat dieser junge Mann vor acht Wochen in Banja Luka getan, und wer waren die Männer, mit denen er zusammen war?«
Stojić übersetzte. Rajak senior brüllte.
»Er sagt«, erklärte Stojić, »dass sein Sohn nichts wisse und nicht dort gewesen sei. Er habe sich den ganzen Sommer hier aufgehalten, und wenn Sie nicht sofort das Haus verlassen, ruft er die Polizei. Ich persönlich finde, wir sollten jetzt gehen. Der Mann hat Einfluss.«
»Okay«, lenkte der Spürhund ein. »Eine letzte Frage.«
Auf seine Bitte hin hatte sich der ehemalige Direktor der Spezialkräfte, der mittlerweile die Firma Hazard Management leitete, zu einem sehr diskreten Lunch mit einem Kontaktmann vom Secret Intelligence Service getroffen. Der Leiter der Balkan-Abteilung war so behilflich gewesen, wie man es ihm gestattete.
»Waren diese Männer Zorans Wölfe? War der Mann, der Sie geohrfeigt hat, Zoran Zilić selbst?«
Stojić brauchte nicht mehr als die Hälfte zu übersetzen. Milan verstand alles auf Englisch. Die Reaktion erfolgte in zwei Schritten. Einen Moment herrschte verblüfftes, eisiges Schweigen. Und was dann folgte, glich einer explodierenden Granate.
Frau Rajak stieß einen Schrei aus und stürzte aus dem Zimmer. Ihr Sohn sank in einen Sessel, schlug die Hände vors Gesicht und begann zu zittern. Der Vater wurde zuerst blass, dann rot, deutete zur Tür und brüllte nur ein Wort, das, wie Gracey vermutete, »Raus!« bedeutete. Stojić steuerte zur Tür. Der Spürhund folgte ihm.
Als er an dem zitternden Jungen vorbeikam, steckte er ihm unauffällig eine Karte in die Brusttasche seines Jacketts.
»Falls Sie es sich anders überlegen«, raunte er ihm zu. »Rufen Sie mich an. Oder schreiben Sie mir. Ich werde kommen.«
Auf der Fahrt zum Flughafen herrschte beklommenes Schweigen im Wagen. Dragan Stojić war davon überzeugt, dass er
jeden Cent seiner eintausend Dollar verdient hatte. Vor der internationalen Abflughalle angekommen, sagte er übers Autodach hinweg zu dem abreisenden Engländer:
»Sollten Sie jemals wieder nach Belgrad kommen, mein Freund, rate ich Ihnen, diesen Namen nicht zu erwähnen. Nicht einmal im Spaß. Im Spaß schon gar nicht. Was sich heute ereignet hat, ist niemals passiert.«
Achtundvierzig Stunden später hatte der Spürhund seinen Bericht zu Papier gebracht und zusammen mit seiner Spesenabrechnung an Steve Edmond geschickt. Im letzten Absatz schrieb er:
»Zu meinem Bedauern muss ich Ihnen mitteilen, dass die Ereignisse, die zum Tod Ihres Enkels führten, die genauen Umstände seines Todes und der Verbleib des Leichnams voraussichtlich niemals geklärt werden. Und ich würde nur falsche Hoffnungen wecken, wollte ich der Meinung Ausdruck verleihen, es bestehe eine Chance, dass Ihr Enkel noch am Leben sei. Zum augenblicklichen Zeitpunkt und in absehbarer Zukunft kann das Ergebnis nur lauten, dass der Vermisste einem mutmaßlichen Verbrechen zum Opfer gefallen ist.
Ich glaube nicht, dass er und sein bosnischer Begleiter mit dem Wagen von der Straße abgekommen und in eine Schlucht gestürzt sind. Jede infrage kommende Straße habe ich persönlich abgesucht. Ebenso wenig glaube ich, dass der Bosnier ihn ermordet hat, um sich in den Besitz des Wagens und/oder des Geldgürtels zu bringen.
Ich bin vielmehr der Ansicht, dass sie sich unwissentlich in Gefahr begeben haben und von einem oder mehreren Unbekannten ermordet worden sind. Es besteht die Wahrscheinlichkeit, dass es sich bei diesen Unbekannten um eine Bande krimineller serbischer Milizionäre handelt, die sich in dem betreffenden Gebiet aufgehalten haben soll. Aber ohne Beweise, Identifizierung, ein Geständnis oder gerichtliche Zeugenaussagen kann keine Anklage erhoben werden.
Ich bedaure zutiefst, dass ich Ihnen diese Mitteilung machen muss, glaube aber, dass sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Wahrheit entspricht.
Ihr ergebenster
Philip Gracey.«
Man schrieb den 22. Juli 1995.
8
Der Anwalt
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