Der Raecher
direkt aus Lebwohl, mein Liebling stammen können.
»Die haben Sie.«
Ehre, wem Ehre gebührt, der untersetzte Exinspektor verschwendete keine Zeit. Sein Ruß speiender Wagen der Marke Jugo rollte mit dem Spürhund auf dem Beifahrersitz quer durch die Stadt in den Bezirk Konjarnik, wo an der Ecke der Ljermontova-Straße das Belgrader Polizeipräsidium thront. Das Gelände war und ist ein hässlicher gelb-brauner Kasten, der wie eine eckige Hornisse aussieht.
»Sie warten besser hier«, sagte Stojić. Er blieb eine halbe Stunde fort und feierte offenbar ein frohes Wiedersehen mit einem alten Kollegen, denn als er wiederkam, roch sein Atem pflaumig nach Sliwowitz. Doch er brachte einen Zettel mit.
»Der Ausweis gehört einem gewissen Milan Rajak. Alter vierundzwanzig. Als Jurastudent eingeschrieben. Vater erfolgreicher Rechtsanwalt, Familie aus der gehobenen Mittelschicht. Sind Sie sicher, dass das der richtige Mann ist?«
»Wenn er keinen Doppelgänger hat, waren er und sein Ausweis samt Foto vor zwei Monaten in Banja Luka.«
»Was um alles in der Welt hätte er dort tun sollen?«
»Er trug eine Uniform und hielt sich in einer Bar auf.«
Stojić vergegenwärtigte sich noch einmal die Akte, die er lesen, nicht aber hatte kopieren dürfen.
»Er hat seinen Wehrdienst abgeleistet. Das müssen alle jungen Jugoslawen zwischen achtzehn und einundzwanzig.«
»Bei einer Kampftruppe?«
»Nein, bei den Fernmeldern. Als Funker.«
»Dann ist er nie im Gefecht gewesen. Vielleicht wollte er das nachholen, oder er hat sich einer Gruppe angeschlossen, die nach Bosnien ging, um für die serbische Sache zu kämpfen. Ein irregeleiteter Freiwilliger? Wäre das denkbar?«
Stojić zuckte mit den Schultern.
»Möglich. Aber diese Milizionäre sind Abschaum. Warum sollte sich ein Jurastudent mit solchen Leuten einlassen?«
»Abenteuerurlaub?«, fragte der Spürhund.
»Aber welche Gruppe? Sollen wir ihn fragen?«
Stojić zog den Zettel zu Rate.
»Eine Adresse in Senjak, keine halbe Stunde von hier.«
»Dann lassen Sie uns hinfahren.«
Sie fanden die Anschrift mühelos: eine gediegene Mittelstandsvilla in der Istarska-Straße. Jahrelange Pflichterfüllung unter Marschall Tito und dann unter Slobodan Milošević hatten Rajak senior offensichtlich nicht geschadet. Eine blasse und nervös wirkende Frau in den Vierzigern, die jedoch älter aussah, öffnete die Tür.
Es wurden ein paar Worte auf Serbokroatisch gewechselt.
»Milans Mutter«, erklärte Stojić. »Ja, er ist da. Was Sie wollen, fragt sie.«
»Mit ihm reden. Ein Interview. Für die britische Presse.«
Sichtlich verwirrt ließ Frau Rajak sie eintreten und rief nach ihrem Sohn. Sie führte sie ins Wohnzimmer. Schritte kamen die Treppe herunter, ein junger Mann erschien in der Diele. Er tuschelte mit seiner Mutter und trat ein. Er wirkte verwundert, besorgt, beinahe ängstlich. Der Spürhund schenkte ihm sein freundlichstes Lächeln und drückte ihm die Hand. Die Tür stand noch einen Spalt offen. Frau Rajak sprach aufgeregt ins Telefon. Stojić warf dem Engländer einen warnenden Blick zu, als wollte er sagen: »Was Sie auch vorhaben, machen Sie’s kurz. Die Artillerie rückt an.«
Der Engländer zückte den Bestellblock aus der Bar im Norden. Auf den beiden verbliebenen Blättern stand oben der Name Hotel Bosna. Er schlug die beiden Blätter um und zeigte Milan Rajak die sieben Ziffern und die beiden Initialen.
»Es war sehr anständig von Ihnen, die Zeche zu bezahlen, Milan. Der Barmann wusste es zu schätzen. Bedauerlicherweise ist der Scheck geplatzt.«
»Nein, das kann nicht sein. Er war...«
Er hielt inne und wurde weiß wie ein Laken.
»Niemand wirft Ihnen etwas vor, Milan. Sagen Sie mir nur eins. Was haben Sie in Banja Luka gemacht?«
»Jemanden besucht.«
»Freunde?«
»Ja.«
»Im Tarnanzug? Milan, das ist ein Kriegsgebiet. Was ist an jenem Tag vor zwei Monaten passiert?«
»Ich weiß nicht, was Sie meinen. Mama...« Er fiel ins Serbokroatische, sodass der Spürhund nichts mehr verstand. Er blickte mit hochgezogenen Brauen zu Stojić.
»Papi ist im Anmarsch«, raunte der Detektiv.
»Sie waren mit zehn Männern zusammen, alle in Uniform und bewaffnet. Was waren das für Leute?«
Milan lief der Schweiß übers Gesicht. Er sah aus, als würde er gleich in Tränen ausbrechen. Der Spürhund vermutete, dass der junge Mann ein ernstes Nervenleiden hatte.
»Sind Sie Engländer? Aber Sie sind kein Journalist. Was wollen Sie hier? Warum verfolgen
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