Der Raecher
gleichermaßen verwunderte wie erfreute. Sie war bereits von einem halben Dutzend Mitgiftjägern bedrängt worden. Auf der Fahrt zurück ins Hotel stellte sie fest, dass er nicht nur brillant im Quantenrechnen war, sondern auch ziemlich gut küssen konnte.
Eine Woche später flog er nach Washington zurück. Miss Edmond war eine junge Lady, der niemand widerstehen konnte. Sie kündigte ihren Job, besorgte sich einen angenehmen Posten beim kanadischen Konsulat, mietete ein Apartment gleich neben
der Wisconsin Avenue und reiste mit zehn Koffern an. Zwei Monate später heirateten sie. Die fürstliche Hochzeit wurde in Windsor, Ontario, gefeiert, die Flitterwochen verbrachte das Paar in Caneel Bay auf den US-amerikanischen Jungferninseln.
Als Hochzeitsgeschenk kaufte der Brautvater dem Paar ein großes Landhaus an der Foxhall Road neben der Nebraska Avenue in einer der ländlichsten und mithin gefragtesten Gegenden von Georgetown. Zu dem Anwesen gehörte ein großes bewaldetes Grundstück mit Swimmingpool und Tennisplatz. Das Taschengeld der Braut deckte die Instandhaltungskosten, das Gehalt des Bräutigams reichte gerade für den Rest. Die Frischvermählten gründeten eine Familie.
Ihr Sohn Richard Eric Steven wurde im April 1975 geboren und bekam bald den Spitznamen Ricky.
Wie Millionen andere junge Amerikaner wuchs er in einem behüteten und liebevollen Elternhaus auf, tat die Dinge, die alle Jungs tun, verbrachte die Ferien in Sommerlagern, entdeckte und erforschte die aufregende Welt der Mädchen und Sportwagen, sorgte sich um Noten und anstehende Prüfungen.
Er war nicht so begabt wie sein Vater, aber auch nicht dumm. Vom Vater hatte er das verschmitzte Lächeln, von der Mutter das gute Aussehen. Er war allseits beliebt. Wenn ihn jemand um Hilfe bat, tat er stets, was er konnte. Nur hätte er niemals nach Bosnien gehen dürfen.
1994 schloss er die High School ab und wurde für den Herbst in Harvard angenommen. Im Winter zuvor hatte er im Fernsehen Berichte über die brutalen ethnischen Säuberungen, das daraus resultierende Flüchtlingselend und die Hilfsprogramme in einem fernen Land namens Bosnien gesehen und den Entschluss gefasst, sich irgendwie nützlich zu machen.
Seine Mutter flehte ihn an, in den Staaten zu bleiben. Es gebe doch auch karitative Einrichtungen im Land, wenn er unbedingt sein soziales Gewissen beruhigen und Menschen helfen wolle. Doch die Fernsehbilder von niedergebrannten Dörfern, weinenden
Waisenkindern und die Verzweiflung der Vertriebenen hatten ihn tief erschüttert. Es musste unbedingt Bosnien sein.
Sein Vater fand durch ein paar Telefonate heraus, dass das Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen als führende Organisation in New York ein Büro unterhielt. Ricky bettelte um die Erlaubnis, wenigstens im Sommer mitzuhelfen, und fuhr nach New York, um sich nach den Aufnahmebedingungen zu erkundigen.
Nach dem Zerfall Jugoslawiens und drei Jahren Bürgerkrieg war die Republik Bosnien-Herzegowina im Frühjahr 1995 verwüstet. Das UNHCR tat mit vierhundert »Internationalen« und mehreren tausend im Land angeworbenen Mitarbeitern alles, was in seiner Macht stand. Der Koordinator vor Ort war ein ehemaliger britischer Soldat, der vollbärtige und energische Larry Hollingworth. Ricky kannte ihn aus dem Fernsehen.
Im New Yorker Büro war man freundlich, aber nicht besonders begeistert. Es trafen säckeweise Bewerbungen von Hilfswilligen ein, und täglich sprachen Dutzende persönlich vor. Ricky war bei den Vereinten Nationen gelandet. Alles ging seinen bürokratischen Gang. Sechs Monate Bearbeitungszeit und unzählige Formulare. Da er im Herbst in Harvard antreten musste, war eine Ablehnung wahrscheinlich.
Zu Beginn der Mittagspause fuhr der junge Mann ernüchtert mit dem Fahrstuhl wieder nach unten, als ihn ein Beamter mittleren Alters freundlich anlächelte.
»Wenn Sie wirklich helfen wollen«, sagte er, »müssen Sie ins Außenbüro Zagreb gehen. Dort werden die Leute direkt eingestellt. An Ort und Stelle sieht man alles nicht so eng.«
Auch Kroatien hatte einst zu Jugoslawien gehört, aber seine Abspaltung erzwungen und war jetzt ein unabhängiger Staat, in dessen sicherer Hauptstadt Zagreb viele Organisationen ihre Zentrale eingerichtet hatten. Eine davon war das UNHCR.
Ricky telefonierte mit seinen Eltern und flog, nachdem sie widerstrebend eingewilligt hatten, von New York über Wien
nach Zagreb. Doch die Reaktion war die gleiche. Wieder musste er Formulare
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