Der Raub des Wikingers
sich vor und gab Tyra den Rat: »Es gibt ein bekanntes, arabisches Sprichwort: Vertraue auf Allah, aber binde dein Zelt fest an.«
»Ihr und Eure Sprichwörter, Rashid. Habt Ihr denn für jede Gelegenheit eins? In Norwegen gibt es ein ähnliches: Bete zu Odin, aber schärfe dein Schwert.«
»Ich sagte, ich rühre dich im Bett nicht an, außer, wenn du mich darum bittest. Ich sagte nicht, dass ich dich nie anfassen werde«, erklärte Adam deutlich. »Verdammt, ich bin doch nicht blöd.« Auf die Sprichworte ging er nicht ein.
Langsam begann Tyra zu glauben, dass sie mit ihrem Versprechen einen Fehler gemacht hatte. Sie wollte gerade eine Änderung der Bedingungen vorschlagen, kam aber nicht mehr dazu, weil das Langschiff jetzt die letzte Biegung nahm und die hohen Berge mit den schneebedeckten Spitzen aus dem Nebel auftauchten. Die alten Wälder wirkten dunkel und bedrohlich, und davor lag die großartige Festung ihres Vaters: Stoneheim.
Adam und Rashid staunten mit offenem Mund. Das war die übliche Reaktion aller Leute, wenn sie die seltsamste
Festung, die es in diesem abgelegenen Land gab, zum ersten Mal sahen - von den seltsamsten Leuten bewohnt.
Die Krieger stöhnten auf, als sie ihr Zuhause wiedersahen, auch das eine gewohnte Reaktion. Es war nicht so, dass sie sich nicht darauf gefreut hätten, ihre Frauen und Geliebten wiederzusehen. Nein, es lag daran, dass Stoneheim nicht so aussah wie die üblichen Wikingerfestungen. Hier oben im Norden war es fast immer kalt und im Winter früh dunkel, manchmal gab es nur für zwei Stunden Tageslicht. Überleben war alles, was zählte, oder sollte zumindest alles sein.
Stoneheim war eine Burg aus Holz, wie viele im Norden. Aber nur in dieser Hinsicht ähnelte sie anderen Burgen.
Stoneheim lag ein Stück vom Fluss entfernt, die Berge im Hintergrund. An das Originalhaus waren mit der Zeit zahlreiche Anbauten gekommen, die teils in den Berg dahinter eingelassen und teils zwei bis drei Stockwerke hoch waren. Drumherum lagen in einem großen Halbkreis Wohnhäuser und weitere Stallgebäude. Das Wohnhaus der Burg zeigte eine Mischung vieler Stilrichtungen, und Tür-und Fensterrahmen waren mit bunten, nordischen Schnitzereien verziert, während die Fenster mit Leder bespannt waren, das man so dünn geschabt hatte, dass es fast transparent war.
Das ganze Bauwerk war das Werk von Tyras Schwester Breanne, die ihrem Vater immer wieder gesagt hatte, dass sie sich, falls er ihr keinen Ehemann beschaffen würde, ihre Zeit mit Architektur vertreiben werde. Jetzt stand sie gerade bildschön in Herrenhosen und Tunika oben auf dem Dach, die roten Locken unter einer Stalljungenkappe verborgen, und half den Arbeitern, das Dach neu zu decken. Breanne war die Tochter einer Irin, die kurz nach der Hochzeit mit Thorvald am Kindbettfieber gestorben war. Alle Schwestern Tyras waren legitim geborene Kinder. Ihr Vater neigte dazu, seine Geliebten zu heiraten, auch mal mehrere gleichzeitig. Alle Mütter lebten nicht mehr. Auch wenn Breanne bei der Arbeit immer Männerhosen trug, liebte sie es im Gegensatz zu Tyra, sich bei anderen Gelegenheiten schön anzuziehen.
Wenigstens war das Dach in Tyras Abwesenheit nicht verziert worden.
»Ich habe so etwas noch nie im Leben gesehen«, bemerkte Adam mit offenem Mund.
»Doch, sicher habt Ihr das«, korrigierte ihn Rashid. »Erinnert Ihr Euch nicht mehr an die bunten Gärten in den Harems von Bagdad?«
Da war er schon wieder bei seinem Harem! Dabei hatte Adam die bunten Blätter der Blumen, Bäume und Büsche gemeint, die bis an die Festung heran wuchsen.
»Du hast Recht«, stimmte Adam zu, »aber hier im Norden war ich schon mehrmals, und noch nie habe ich so üppige Blumen gesehen. Ich hätte gedacht, sie würden hier oben erfrieren.«
»Das ist das Werk meiner Schwester Drifa. Ihre Mutter Tahira kam aus Eurem Land, Rashid... sie war eine Konkubine meines Vaters und seine letzte Frau. Sie hat das warme Klima ihrer Heimat so sehr vermisst, dass Vater ihr erlaubt hat, ein oder zwei Blumen zu pflanzen, damit sie aufhört zu weinen. Damals hat er nicht geahnt, dass das zu so einer verrückten Blumenfülle führen würde. Einmal hat sie sogar einen Baum ins Haus geholt. Tahira ist vor fünf Jahren gestorben ... einige sagen aus Heimweh... aber ihre Tochter Drifa ist in ihre Fußstapfen getreten.«
Sie deutete auf einen Terrassengarten, in dem eine kleine Frau - gemes sen an den Wikingern - in einer Herbstblumenstaude kniete, die Hände voller Erde.
Weitere Kostenlose Bücher