Der Richter
des Richters hatte einst von Autorität gekündet und war wohl bekannt. jetzt war sie für Ray nur noch das entfernt vertraute Gekritzel eines schwer kranken, alten Mannes.
Krank oder nicht, Ray wusste, dass er sich zum vorgesehenen Zeitpunkt im Arbeitszimmer seines Vaters einfinden würde. Er war sozusagen vorge-laden worden, und so ärgerlich das auch sein mochte, er hegte keinerlei Zweifel daran, dass er und sein Bruder dem Ruf des Familiengerichts folgen würden, um sich eine weitere Strafpredigt anzuhören. Es war typisch für den Richter, dass er sich einfach einen ihm genehmen Tag heraussuchte, ohne vorher anzufragen.
Es entsprach nun einmal der Natur des Alten - und vermutlich auch der der meisten seiner Richterkollegen -, Termine festzusetzen, ohne sich groß darum zu scheren, ob sie anderen passten oder nicht. Hatte man es ständig mit vollen Terminkalendern, zögerlichen Prozessparteien und überarbeite-ten oder faulen Rechtsanwälten zu tun, gewöhnte man sich eine solche Strenge an, und vielleicht war sie sogar notwendig. Doch der Richter hatte sich in Bezug auf seine Familie schon immer beinahe genauso wie in seinem Gerichtssaal verhalten. Und das war der entscheidende Grund, weshalb sein Sohn Ray Professor der Rechtswissenschaften in Virginia war und nicht als Anwalt in Mississippi praktizierte.
Ray las die »Vorladung« noch einmal und legte den Brief dann auf einen Stapel anderer Unterlagen, um die er sich noch kümmern musste. Dann ging er zum Fenster und blickte in den Hof hinaus, wo alles blühte. Er war weder wütend noch verbittert, sondern lediglich frustriert, dass sein Vater ihm immer noch seinen Willen aufzwingen konnte. Aber er sagte sich, dass der Richter ein Todgeweihter war und er ihm diese Behandlung nachsehen sollte. Viele Reisen nach Hause würden ohnehin nicht mehr auf dem Programm stehen.
Mit dem Erbe des Richters verhielt es sich rätselhaft. In erster Linie ging es um das aus der Zeit vor dem Amerikanischen Bürgerkrieg stammende Haus, das jener Atlee erbaut hatte, der später an der Seite von General Forrest in den Kampf gezogen war. Dann war das Anwesen von Generation zu Generation vererbt worden. In einer schattigen Straße der Altstadt von Atlanta wäre das Haus über eine Million Dollar wert gewesen, nicht aber in Clanton. Es lag inmitten von fünf vernachlässigten Grundstücken, etwa drei Häuserblocks vom zentralen Platz der Stadt, dem Clanton Square, entfernt.
Böden und Decken verzogen sich, das Dach war undicht, und seit Rays Geburt hatte es keinen neuen Anstrich mehr gesehen. Vielleicht konnten sein Bruder und er das Haus für einhunderttausend Dollar verkaufen, doch der Käufer würde die doppelte Summe investieren müssen, um es wirklich bewohnbar zu machen. Von den beiden Brüdern würde keiner jemals wieder darin leben. Schon jetzt hatte Forrest jahrelang keinen Fuß mehr in das Gebäude gesetzt.
Seinerzeit war das Haus auf den Namen Maple Run getauft worden, als wäre es ein großartiger Landsitz mit Dienerschaft, in dem ein gesellschaft-liches Ereignis auf das andere folgte. Die letzte Angestellte war ein Dienstmädchen namens Irene gewesen. Seit sie vor vier Jahren gestorben war, waren die Zimmer nicht mehr gesaugt und die Möbel nicht mehr poliert worden. Der Richter zahlte einem ortsansässigen Kleinkriminellen zwanzig Dollar pro Woche, damit er den Rasen mähte. Erst nach langem Zögern hatte er sich darauf eingelassen. Achtzig Dollar pro Monat - in seinen Augen war das Diebstahl.
Als Ray ein Kind gewesen war, hatte seine Mutter ihr Zuhause tatsächlich immer nur »Maple Run« genannt. Das Abendessen wurde nicht in ihrem »Haus« aufgetragen, sondern in »Maple Run«, die Adresse war nicht die der Familie Atlee in der Fourth Street, sondern »Maple Run, Fourth Street«. Nur wenige Menschen in Clanton konnten Häuser mit Namen vorweisen.
Sie starb an einem Aneurysma und wurde auf einem Tisch im vorderen Salon aufgebahrt. Zwei Tage lang paradierte die ganze Stadt über die Veranda, durch die Diele und den Salon, um ihr die letzte Ehre zu erweisen; anschließend wurden im Esszimmer Punsch und Plätzchen serviert. Ray und Forrest versteckten sich auf dem Dachboden und verfluchten ihren Vater, weil er ein solches Spektakel inszeniert hatte. Da unten, in dem offenen Sarg, lag ihre Mutter, eine hübsche junge Frau, die jetzt, mit bleicher Haut und steif von der Totenstarre, den Blicken der anderen Stadtbewohner ausgesetzt war.
Wegen seines zunehmend
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