Der Ring der Kraft - Covenant 06
nichts Schlechtes. Ihre vorherigen Versuche, von ihm Besitz zu ergreifen, waren falsch und unentschuldbar gewesen. Sie hatte seine Absicht erkannt, sich dem Sonnenfeuer auszusetzen, und darauf reagiert, als habe er vor, Selbstmord zu begehen. Unwillkürlich hatte sie ihn daran hindern wollen. Damals jedoch war es ausschließlich um sein Leben, sein Risiko gegangen. Sie hatte kein Recht zur Einmischung gehabt.
Aber jetzt gab er nicht nur sich selbst, sondern die ganze Erde dazu auf. Er spielte nicht bloß mit dem eigenen Leben; er lieferte alles Leben der unabwendbaren Vernichtung aus. Deshalb lag die Verantwortung, dagegen einzuschreiten, bei ihr; und nicht nur die Verantwortung, auch das Recht. Das Recht! schrie ihr Bewußtsein. Doch er antwortete nicht. Ihr Wille beherrschte ihn restlos.
Sie schien ihm dort zu begegnen, wo sie schon einmal mit ihm zusammengetroffen war, als sie ihrer selbst entsagt hatte, um ihn vom »Schweigen« der Elohim zu befreien – auf einer an Blumen reichen Wiese unter ungetrübt blauem Himmel, in purem Sonnenschein. Doch jetzt erkannte sie darin eine der üppigen Auen Andelains, gesäumt von Hügeln und Hainen. Und Covenant war diesmal nicht jung. Er stand vor ihr genauso wie vor dem Verächter – gänzlich unberührbar, das Gesicht entstellt von Prellungen, die er nicht verdiente, am ganzen Körper erschöpft bis zur Grenze des Zusammenklappens, und in der Mitte seines T-Shirts klaffte der alte, vom Messerstich zurückgebliebene Schlitz. Sein Blick ruhte auf ihr, und sie flammten von heißer Mitternacht, endzeitlichen Nöten des Himmels. Kein Lächeln der Welt hätte seinen Blick lindern können. Er stand da, als warte er darauf, daß Linden ihn erforsche, ausforsche, die Wahrheit erfahre. Aber sie vermochte den Abstand zwischen ihnen nicht zu überwinden. Sie lief und lief auf ihn zu, erfüllt von der Sehnsucht, endlich ihre Arme um ihn schlingen zu dürfen; doch die Wiese lag so still da wie das Sonnenlicht, seine Augen schimmerten ihr Dunkelheit entgegen, und wieviel Kraft sie auch verwendete, sie kam ihm nicht näher. Sie wußte, wenn sie ihn erreichte, würde sie alles begreifen, die Vision oder Verzweiflung, die ihn im Sonnenfeuer ereilt hatte, sich ihr mitteilen, seine Gewißheit verständlich werden. Er war sicher und unerschütterlich wie Weißgold. Aber sie gelangte nicht näher zu ihm. Er hielt ihrem Wunsch sein unumstößliches Rühr mich nicht an! der Lepra oder der Erhöhung, der Apotheose entgegen. Seine Weigerung ließ in Linden Kummer anschwellen wie das Heulen eines verirrten Kindes.
Da wollte sie sich umwenden und all ihre neubegründete Macht gegen den Verächter schleudern, weißes Feuer entfachen und ihn vom Antlitz der Erde austilgen. Manche Geschwüre müssen herausoperiert werden. Wozu hast du denn all diese Macht? Nun konnte sie selbst es tun. Foul hatte Covenant so tief gekränkt, daß er für sie unerreichbar geworden war. In ihrem Schmerz gierte sie nach Feuer. Sie hatte ihn bis ins Herz und in die Gliedmaßen in ihrem Besitz – und in seiner linken Hand lag der Ring, unausgesetzt am Rande des Detonierens. Sie war dazu fähig. Wenn keine andere Hoffnung bestand und ihre Liebe ihr verwehrt blieb, warum sollte nicht sie es sein, die den Kampf aufnahm, die Verderben auslöste, die die Regeln bestimmte? Sollte Lord Foul die Natur dessen kennenlernen, was er geschmiedet hatte.
Aber Covenants Blick haftete auf ihr, als schluchze sie, als sei sie viel zu schwach, um zu irgend etwas anderem als Weinen imstande zu sein. Er schwieg, bot ihr nichts. Doch die Reinheit seines Blicks ließ nicht zu, daß sie sich abwandte. Wie hätte er sprechen, etwas anderes unternehmen als sie in stummem Vorwurf betrachten können? Sie hatte ihm seinen Willen genommen, ihn so gründlich erniedrigt, als wäre sie ein Wütrich und weide sich an seiner Hilflosigkeit. Und doch blieb er für sie menschlich, begehrenswert und beharrlich, ihr so lieb wie das Leben. Vielleicht war er wahrhaftig wahnsinnig. Aber war sie nicht etwas viel Schlimmeres?
Bist du nicht schlecht?
Doch. Ohne Frage.
Doch die schwarzen Flammen in Covenants Augen beschuldigten sie keiner Schlechtigkeit. Er verachtete sie in keiner Weise. Er weigerte sich nur, sich verunsichern zu lassen. Du hast gesagt, daß du mir vertraust. Und wer war sie, daß sie glauben dürfte, er gehe den falschen Weg? Wenn Zweifel nötig war, warum sollte sie an ihm statt an sich selbst zweifeln? Kevin Landschmeißer hatte sie gewarnt,
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